Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
gesehen. Er war in einem Badehaus, um den Isen zu suchen. Das Totenlicht hat ihm enorme Kräfte verliehen. Ich sah ihn Menschen wie Laub durch die Luft werfen. Er konnte sich schnell bewegen wie ein Schatten.«
»Hat er sich verloren, so wie Totumé?«
Anetán schüttelte den Kopf. »Er ist beherrschter. Aber … da war ein Mädchen. Mit einer Augenklappe. Sie hat ihm Befehle erteilt und er hat auf sie gehört. Dann ist er gegangen.«
Saraide blickte noch immer ruhig geradeaus, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt. Ein Mädchen mit einer Augenklappe. Sie erinnerte sich an den Abend in Har’punaptra, kurz bevor sie, Anetán und Mercurin um das Totenlicht gekämpft hatten, das tief unter der Stadt gelegen hatte. Anetán war kaum zu einer Attacke fähig gewesen und sein Zögern hatte Saraide aus dem Konzept gebracht. So war Mercurin mit dem Licht geflohen. Bei der Erinnerung ballte Saraide die Fäuste. Schon früher hatte sie es schwer ertragen, wenn eins ihrer Geschwister besser war als sie. Zum Glück war das selten vorgekommen. Totumé konnte mit ihren dreizehn Sommern, ihrer Unerfahrenheit ohnehin niemandem das Wasser reichen, Anetán hatte sich stets gehütet, Saraide zu erzürnen, nur Mercurin … er war verdammt gut gewesen und hatte seine größten Fähigkeiten obendrein geheim gehalten. Bei ihrer Begegnung in Har’punaptra vor dem Kampf hatte er ein Mädchen bei sich gehabt, das auf einem Auge blind war.
Für einen kurzen Moment überlegte Saraide, ob er sie … aber das war ausgeschlossen. Mercurin war nicht wie Anetán; er kannte nichts als seine Treue zum Tiefen Licht. Zudem war das Mädchen eine Verfluchte und sie war entstellt. Wenn Mercurin für Saraides Reize unempfänglich gewesen war, wie sollte ihm dann ein einäugiges Mädchen von den Verfluchten gefallen?
Und wenn sie doch keine gewöhnliche Verfluchte war … konnte es sein, dass das Tiefe Licht eine fünfte Erwählte auserkoren hatte, die nicht Druidin in Hellesdîm war – eine Helferin, die besondere Macht besaß, die womöglich dazu beigetragen hatte, dass Mercurin das Totenlicht aus Har’punaptra erlangt hatte und nicht sie oder Anetán? Immerhin musste auch Totumé fremde Hilfe gehabt haben, sonst hätte sie unmöglich vor allen anderen ein Totenlicht finden können. Die Vorstellung, dass jemand ihren Geschwistern beistand und nicht ihr, jagte Saraide einen Schauder über den Rücken.
Sie war doch die Stärkste von allen. Oder? Wo hatte sie versagt? Sie war immer die Beste gewesen … und wieder war sie da: die namenlose Traurigkeit. Saraide spürte, wie sie jetzt in juckenden Zorn umschlug.
Anetán legte eine Hand auf ihre Schulter und sie zuckte innerlich zusammen. Sie stand auf und entglitt ihm. Natürlich hielt er sie nicht zurück, er sagte nicht einmal etwas, obwohl sie hörte, dass er den Atem anhielt. Dieser Dummkopf – ja, ihr Bruder war ein Dummkopf! Wie konnte er sie bloß so verehren? Zwischen den Zweigen blieb sie stehen und sah zu ihm zurück. Wie er dastand, mit bloßem Oberkörper und zerzaustem Haar, wirkte er so verletzlich, dass es ihr fast wehtat. Ja, sie hatte ihn doch irgendwie gern, diesen Dummkopf.
»Wehe, du trittst mir noch mal unter die Augen, bevor du ein Totenlicht hast«, sagte sie hart und ging, bevor er ihr liebevolles Schmunzeln bemerken konnte.
Spuren
S ie kauften Proviant in einem großen Gasthof in Tridad, ehe sie die Stadt verließen. Der Wirt wollte sich nicht mit Geld bezahlen lassen, sondern verlangte einen halben Liriumfinger von Olowain. Hel erinnerte sich an Zeiten, als ein halber Finger Lirium kaum drei Dukaten wert gewesen war, und jetzt bekamen sie dafür Wegzehrung, die ihnen zusammen für fünf Tage reichte.
In finsterer Stimmung passierten sie das Stadttor und bogen auf die Ader Richtung Norden. Eine Weile blieb die Straße gepflastert, dann gab es nur noch platt getretenen Erdboden voller Fuß-, Huf- und Räderspuren. Ein paar Grasbüschel hingen matt in den Pfützen. Hier und dort war der Weg überflutet, und sie mussten durch das tropfende Unterholz stapfen, damit sie nicht bis zu den Knien nass wurden. Fluchend raffte Olowain das lange Gewand, das er unter dem Umhang trug und das offenbar kein Wasser abweisen konnte wie der magische Stoff des Umhangs.
Händlerkarawanen begegneten ihnen, die sie misstrauisch beäugten. Alle Reisenden waren bis auf die Zähne bewaffnet. Kelda zog sich die Kapuze tief ins Gesicht, damit man seine dunkle Haut nicht sah. In diesen Zeiten war
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