Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
konnte.
»Bist du hier geboren?«
»Niemand wird in Hellesdîm geboren. Ich musste erst die Feuerweihe bestehen, als ich ein kleines Kind war.«
»Was für eine Feuerweihe?«
Er wies zur Schlucht. »Dieselbe, die du bestanden hast. Nur die, in denen das Tiefe Licht lebt, können die Schlucht passieren. Alle anderen stürzen in die Tiefe. Ich bin nicht gestürzt.«
»Wo hast du vorher gelebt?«
»In einem Dorf«, sagte er zögerlich.
»Wo?«
»Irgendwo im Land.«
»Wurdet ihr nie vom Land angegriffen?«
»Das Land greift nicht an, es lebt, es bewegt sich wie wir«, sagte er scharf. »Außerdem wachen die Druiden über die Elemente.«
»Wenn du und deine Geschwister die letzten Druiden seid und ihr das Alte Reich verlassen habt, wer kümmert sich dann um die Menschen hier? Wer passt auf, dass sie nicht vom Erdboden geschluckt werden?«
Weil er nicht antwortete, drehte sie sich zu ihm um. Er wich ihrem Blick aus.
»Niemand wacht über sie«, schloss Hel bitter. »Ihr habt sie sterben lassen, als ihr gegangen seid, um Dämonen zu werden.« Sie presste die Lippen aufeinander. »Deine Mutter, lebt sie noch irgendwo da draußen?«
»Schweig«, befahl er kalt. » Ashk’hyr miern dhad! Du redest von Dingen, von denen du keine Ahnung hast.«
Sie verstummte getroffen, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Du bist hochmütig. Nur weil du für irgendetwas auserwählt bist, dessen Zweck kein Mensch außer euch Druiden nachvollziehen kann, bist du weder weiser noch klüger. Du trägst nicht die absolute Wahrheit in deinem Herzen, Mercurin, kein Mensch tut das. Auch du hast nur deine eigenen Augen, mit denen du die Welt siehst.«
Sein Gesicht war wie versteinert. War sie zu weit gegangen? Konnte er sie trotz allem, was vorgefallen war, noch vom Klippenrand stoßen? Er nahm ihre Hand.
»Aber ich wusste ja auch nicht, dass es solche Menschen wie dich gibt«, sagte er kaum hörbar. »Oft wünsche ich mir, ich hätte es nie erfahren. Dann wäre alles einfacher.«
Seufzend ließ er den Kopf hängen.
»Was wäre einfacher? Mich umzubringen?«
Sie hatte es scherzhaft gemeint, doch er erwiderte ihr Lächeln mit ernsten Augen. »Ja.«
»So leicht wäre es ganz bestimmt nicht!«, versuchte sie es noch einmal grinsend. »Ich bin ein zäher Gegner, wie du inzwischen bemerkt haben dürftest. Bevor du mich umlegst, hätte ich dir mindestens ein neues Gesicht verpasst.« Sie strich über den blauen Fleck an seinem Kinn, wo ihn ihre Faust getroffen hatte. Bei allen Himmelgeistern, sie hatten sich umbringen wollen. Und dann … Hel dachte lieber nicht daran. Inzwischen konnte sie ihren Verstand ziemlich gut ignorieren.
Mercurin lächelte. Ein heißes Rieseln ging durch ihre Brust – wie oft hatte sie an sein Lächeln denken müssen, bei dem der rechte Mundwinkel höher rutschte als der linke und manchmal ein Stück der Zähne sichtbar wurde.
»Ja. Du bist zäh. Aber du kannst mit deinem Totenlicht noch nicht richtig umgehen.«
»Bist du wirklich sicher, dass ich eins habe?«, murmelte sie.
Er runzelte die Stirn. »Ja. Was du kannst, ist nicht menschlich. Nicht einmal ich konnte solche Dinge, bevor ich das Totenlicht aus Har’punaptra bekam.« Er durchsuchte ihre Augen. »Du hast lange weder geschlafen noch gegessen und getrunken. Du bist auf den Feen geflogen und hast deine Lebenskräfte aus dem Land gezogen. Du hast mich angegriffen, mit der Energie des Tiefen Lichts. Das geht nur mit einem Totenlicht.«
»Wie lange hast du nicht mehr geschlafen?«
Er überlegte. »Seit einer halben Stunde.«
»Du weißt, was ich meine!«
Er lächelte schwach. »Ein paar Monate.«
»Und essen und trinken?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich kann ein Mensch sein, wenn ich will, oder auch nicht.«
»Gestern, da warst du nur ein Junge.«
Er erwiderte nichts und sah sie nur an.
Hel …
Sie fuhr herum. Lichter glitten vorüber und waren gleich wieder weg.
»Was ist?«, fragte Mercurin.
»Hast du das nicht gesehen?«
Er beobachtete sie nachdenklich. »Es gibt viel zu sehen in Hellesdîm. Wenn du willst, zeige ich dir alles.«
Hel verdrängte das merkwürdige Gefühl, beobachtet zu werden, und nickte. »Ja. Gehen wir.«
Mercurin zeigte ihr Hallen ohne Türen, deren Wände sich auf seine stummen Befehle öffneten und schlossen. Sie gingen durch Baumflure und stiegen Wurzeltreppen empor zu weitläufigen Terrassen und Balkonen im Gestein. Obstwiesen und Kräutergärten verbargen sich hinter den Schleiern knarzender Weiden. Bäche und
Weitere Kostenlose Bücher