Sturmjäger von Aradon - Magierlicht - Nuyen, J: Sturmjäger von Aradon - Magierlicht
Die Schönheit des Lebens, und die Ehrfurcht, die es von den Menschen verlangte. Geschichten über die Entstehung der Welt, das Zusammenspiel der Elemente, den Geist der Wälder und des Donners. Alles klang so fremd und war doch erfüllt von kühler Zärtlichkeit. Nicht alles wollte Hel glauben – dass Menschen und Tiere nur etwas wert waren, weil das Tiefe Licht einen Funken in sie gesetzt hatte, und dass es sich diesen Funken jederzeit zurückholen durfte –, aber sie behielt ihre Zweifel für sich, wollte ihm erst einmal nur zuhören und ihn verstehen.
Hin und wieder hielt er inne und fragte sie, ob sie ihm folgen könne; ob es in ihrer Welt ähnliche Vorstellungen gegeben hatte. Neugierig lauschte er ihren Erzählungen, doch dann wurden seine Fragen immer leiser, und schließlich kehrte er zur Lehre des Tiefen Lichts zurück, als hätte er den Auftrag, Hel zu bekehren, und dafür nicht viel Zeit.
Immer wieder wollte er in den nächsten Tagen, dass Hel sich im Umgang mit dem Totenlicht übte. Nachdem sie den Regen rufen konnte, sollte sie mit den Winden sprechen, Lirium aus dem Boden ziehen und zurückgeben. Hel hatte anfangs Bedenken, ob sie das alles wirklich wollte. Es waren dämonische Kräfte. Dieselben Kräfte, die Gharra und die Sturmjäger getötet hatten. Sie fürchtete die Macht, über die sie verfügte, hätte alles am liebsten geleugnet. Doch dann … wie köstlich war der Erfolg! Sie konnte tatsächlich die Elemente nach ihrem Willen lenken. Sollte ein Grashalm wachsen, so wuchs er. Sollte ein Zweig verdorren, verdorrte er. War Hel erschöpft, so konnte sie sich vom Lirium der Erde stärken. Sie fühlte sich unbesiegbar und so selbstsicher wie nie zuvor. Gerade das erschreckte sie oft.
Sie fragte sich nicht mehr, ob sie das Richtige tat. Diese Gedanken hatte sie für Mercurin aufgegeben. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie die Grenzen ihres Gewissens nicht ewig überschreiten konnte … irgendwann würde sie sich ihren Fragen und Zweifeln stellen müssen. Und vieles verlieren.
Eines Nachts wachte Hel auf und merkte, wie Mercurin sich erhob. Sie schliefen wie immer unter den Bäumen, deren Zweige wie Vorhänge um sie geschlossen waren. Er strich sie zur Seite und trat hinaus.
Es war noch dunkel im Himmel, zu früh für sein Morgengebet. Hel stützte sich auf und sah ihm nach. Am Rand des Hanges blieb er stehen. Schließlich stand Hel auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und kam zu ihm.
Er hörte ihre Schritte im Gras und drehte sich überrascht um.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie.
Er lächelte matt. Sie wusste ja, er brauchte keinen Schlaf. Sie eigentlich auch nicht – was erklärte, wie sie in den vergangenen Monaten mit so wenig ausgekommen war –, aber es hatte trotzdem etwas Schönes an sich, in vollkommene Ruhe zu versinken. Es war so vertraut. Und was sollten sie sonst mit ihrer Zeit anfangen? Am besten war es, sich nur in den Armen zu liegen und nicht über das zu sprechen, was ihr Zusammensein von allen Seiten bedrohte.
»Ich … ich höre den Isen gar nicht mehr«, erklärte Mercurin zögerlich. Er wich ihrem Blick aus. Dabei wusste sie genau, dass er sich noch immer, in jedem Augenblick, nach den anderen Totenlichtern sehnte. »Vielleicht wurde er von Saraide oder Anetán gefunden und erledigt. Aber dann müsste ich sie hören, irgendwie. Unmöglich können sie die Verbindungen zwischen den Totenlichtern gleich zu Beginn so gut unterdrücken. Wenigstens ein kurz aufflackerndes Bild.«
Hel nickte. »Es ist kalt.«
Er legte einen Arm um sie.
»Nein«, sagte sie, »ich meine, es ist kalt dort, wo das Totenlicht von Karat ist, dem Isen.«
Er starrte sie an.
»Ich habe ihn doch auch gesehen«, erklärte sie. »Und ich fühle die Verbindung noch.« Sie atmete tief durch, versuchte das misstrauische Funkeln in seinen Augen zu übersehen. Dachte er denn, sie spürte ihr Totenlicht nur, wenn er ihr damit umzugehen beibrachte? »Ich habe mir schon überlegt, ob Karat vielleicht irgendwo gefangen ist oder … sich in einem tiefen Schlaf befindet oder etwas Ähnlichem. Aber manchmal sind da Bewegungen, wo er ist. Nur keine Gedanken und Gefühle mehr. Ich sehe manchmal Berge im Schnee, aber nur entfernt, als würden sich die Bilder auf einer Art Spiegel befinden.«
Er biss die Zähne zusammen. Hel griff nach seiner Hand.
»Habe ich mehr gesehen als du? Oder macht es dir nur Angst, dass ich dir davon erzähle, während du es verschweigst? Ich will nicht
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