Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
Vom Netzwerk:
sein.«
    Mark warf einen Blick auf Samantha. Sie schien kaum Appetit zu haben, und wenn sie auch allem Anschein nach Mrs. Jones aufmerksam zuhörte, so verrieten ihre Augen doch, daß sie in Gedanken ganz woanders war. Es hätte Mark interessiert, wo.
    {198} »Ja, Sir, mein Vater ist sicher ein interessanter Mann …«
    Mark trank einen Schluck Wein und merkte plötzlich, daß Samantha ihn ganz unverhohlen anstarrte.
    Mrs. Jones war im Gespräch mit Mrs. Page, und Henry Jones wandte jetzt seine Aufmerksamkeit dem Reporter vom Boston
Journal
zu. Nur Samantha und Mark unterhielten sich nicht. Schweigend sahen sie sich über den Tisch hinweg an.
    Mark nahm sich ein Stück Brot und strich Butter darauf. »Und was haben Sie jetzt für Pläne, Dr. Hargrave?« fragte er.
    »Ich habe vor, eine kleine Praxis zu eröffnen. In einer Gegend, wo Ärzte gebraucht werden.«
    Wie Joshuas Praxis, dachte Mark.
    »Ich habe mir die Statistiken angesehen, Dr. Rawlins«, fuhr Samantha fort, »und festgestellt, daß in New York gerade dort, wo die Bevölkerung am dichtesten ist, die wenigsten Ärzte sind. Ich finde, das ist eine Schande.«
    Mark Rawlins sah etwas in Samanthas Augen, das vor anderthalb Jahren noch nicht sichtbar gewesen war. Ohne Zweifel hatte Samantha Hargrave eine Veränderung durchgemacht. Oberflächlich gesehen war sie dieselbe geblieben, eine schöne junge Frau von gewinnendem Wesen, doch ihre Haltung und ihr Ausdruck zeigten eine innere Kraft, die der unsicheren jungen Frau auf dem Weihnachtsball vor anderthalb Jahren gefehlt hatte. Damals hatte sie etwas kindlich Naives gehabt; jetzt saß eine selbstsichere, entschlossene Frau vor ihm, die wußte, was sie wollte.
    »Wie geht es den Masefields, Dr. Rawlins?«
    Er riß sich aus seinen Betrachtungen. »Mrs. Masefield ist vor einiger Zeit gestorben, Dr. Hargrave. Wir hatten einen harten Winter. Sie war körperlich schon zu geschwächt, um ihn überstehen zu können.«
    »Ach Gott, das tut mir leid«, murmelte Samantha, und die alten Gefühle überfluteten sie, als wäre ein Damm gebrochen – Schmerz über Estelles Tod, Freude darüber, daß Joshua frei war. Aber nein, sie hatte ihm versprochen, sie hatte sich selbst gelobt, daß es vorbei war, für immer beendet.
    »Ach«, ließ sich Henry Jones vernehmen, »täusche ich mich, oder kennen Sie beide sich?«
    Marks Stimme klang merkwürdig gezwungen, als er sagte: »Wir haben uns durch gemeinsame Freunde kennengelernt.«
    »Aha! Dann ist also Miss Hargrave die Ihnen bekannte Person an unserem College, die Sie in Ihrem Schreiben erwähnten.«
    Samantha drehte erstaunt den Kopf. »Was sagen Sie da, Dr. Jones?«
    »Dr. Rawlins erkundigte sich vor einiger Zeit bei mir nach dem genauen {199} Datum unserer Abschlußfeier. Er schrieb, er und Mrs. Rawlins hätten die Absicht, an der Feier teilzunehmen, da sich unter den diesjährigen Absolventen jemand befände, mit dem sie bekannt seien.«
    Samantha sah Mark an. »Tatsächlich? Sie sind meinetwegen hergekommen? Dann ist es also doch kein Zufall.«
    Mark wollte etwas antworten, aber Jones schnitt ihm das Wort ab. »Ich muß gestehen, ich nützte Dr. Rawlins Bitte gleich schamlos aus, indem ich ihn bat, die Gastrede zu halten. Ich wußte allerdings nicht, Miss Hargrave, daß Sie die Person sind, auf die Dr. Rawlins sich bezog.«
    Sie sah Mark unverwandt an. »Ich fühle mich geschmeichelt, Sir, daß Sie meinetwegen die lange Reise auf sich genommen haben.«
    Ein Anflug von Unbehagen huschte über sein Gesicht. Samantha sah es und fragte sich, was ihn bedrückte.
    Mr. Kendall hob die Tafel auf, und bat die Herren zu Brandy und Zigarren ins Herrenzimmer, während Mrs. Kendall, die es kaum erwarten konnte, endlich ihr Korsett aufzuschnüren, die Damen zum Kaffee einlud. Als Samantha den Frauen in Mrs. Kendalls Salon folgen wollte, hielt Mark sie auf.
    »Kann ich Sie einen Moment unter vier Augen sprechen?« fragte er leise.
    »Gewiß.« Nachdem Samantha der Gastgeberin versprochen hatte, gleich nachzukommen, wartete sie, bis alle das Speisezimmer verlassen hatten, schloß die Tür und wandte sich dann Mark zu.
    »Ich habe Sie um dieses Gespräch unter vier Augen gebeten, Dr. Hargrave, weil ich Ihnen etwas mitzuteilen habe. Und etwas zu überbringen habe.«
    Sie wartete an die Tür gelehnt, während Mark einen Brief aus der Innentasche seines Rocks zog. Er drehte ihn einige Male unschlüssig in den Händen, ehe er den Kopf hob und sie ansah. »Ich bin aus anderen Gründen

Weitere Kostenlose Bücher