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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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solchen Empfang gerechnet hatte, erklärte Dr. Prince mit kühler Sachlichkeit, daß diese plötzliche Sinnesänderung ein Vertragsbruch sei und sie sich unter diesen Umständen gezwungen sähe, die Angelegenheit einem Anwalt zu übergeben.
    Samantha hätte gar nicht das Geld gehabt, sich einen Anwalt zu nehmen, aber Dr. Prince fiel auf ihren Bluff herein und erklärte, er müsse die Sache mit der Krankenhausverwaltung besprechen, ehe er etwas Definitives sagen könne.
    »Aber, meine Herren«, empörte sich Dr. Prince, »das ist doch unvorstellbar! Sie ist eine Frau! Ich kann doch nicht dulden, daß sie im Beisein von Männern Patienten untersucht, daß sie mit lauter Männern im Krankenhaus wohnt, und womö–«
    »Doch, Dr. Prince, genau das wünschen wir. Die Dame wird sicher eine Sonderbehandlung erwarten. Nun, da wird sie eine Enttäuschung erleben. Sie, Dr. Prince, werden dafür sorgen, daß Dr. Hargrave
sämtliche
Stationen des Assistentenprogramms durchläuft und nicht anders behandelt wird als die Männer. Da wird sie bald wieder abspringen.«
    Eine grobe Fehleinschätzung. Samantha war froh, daß man ihr keine Sonderbehandlung einräumte. Sie wollte ja lernen. Und was eine Frau bürgerlicher Herkunft vielleicht unerträglich gefunden hätte, mit einem Haufen junger Männer auf einer Etage zu wohnen, das einzige Badezimmer mit ihnen zu teilen, spät abends womöglich ihre Zoten und ihr grobes Gelächter anhören zu müssen, machte Samantha, dem Mädchen vom St. Agnes Crescent, nicht das geringste aus.
    Aber leicht würde es nicht werden, das wußte sie. Dr. Prince hatte eine Niederlage erlitten; er würde sich rächen wollen.
    Der Chefarzt war nicht der einzige, dem ihre Anwesenheit zuwider war. Abgesehen von den übrigen Assistenten, die sich in ihrer männlichen Freiheit beschnitten fühlten, waren auch die Krankenschwestern empört. Sie fanden es unerhört, daß sie von einer Frau Befehle entgegennehmen sollten. Auf die stärkste Mißbilligung stieß Samantha jedoch bei der Oberschwester, Mrs. Knight, die nicht nur die Aufsicht über die schlecht ausgebildeten und schlecht bezahlten Schwestern führte, sondern auch für Ordnung und Sauberkeit in den Assistentenunterkünften zuständig war.
    Als sie Samantha in das kleine Zimmer ganz hinten im Korridor führte, zeigte sie ganz unverhohlen ihr Mißvergnügen.
    {206} »Ich werde dem Hausmeister sagen, daß er an der Badezimmertür ein Schloß anbringen soll«, bemerkte sie und rasselte dabei mit dem Schlüsselbund, der an ihrem Gürtel hing. »Bis dahin müssen Sie eben laut singen, um peinliche Zwischenfälle zu vermeiden. Abends haben Sie Ihre Tür abzuschließen, und Sie werden den Korridor stets in vorschriftsmäßiger Kleidung betreten. Der Speisesaal für das Personal befindet sich im zweiten Stock. Die Mahlzeiten werden pünktlich eingenommen. Wer zu spät kommt, bekommt nichts mehr. Ich war dafür, Sie mit den Schwestern zusammen essen zu lassen, aber Dr. Prince besteht darauf, daß Sie als Ärztin mit dem Ärztestab essen.«
    Mrs. Knight war eine dicke Frau mit eisengrauem Haar. Sie faltete die Hände vor ihrem gewaltigen Busen und schnaubte mißbilligend.
    »Ich sage Ihnen ganz offen, Dr. Hargrave, daß mir Ihre Anwesenheit hier überhaupt nicht paßt. Man hat so etwas schon einmal versucht, 1869 am Pennsylvania Krankenhaus. Diese sogenannten Ärztinnen dort haben nicht einmal den ersten Tag überstanden. Frauen sind für den Beruf des Arztes nicht bestimmt. Sie sind nicht geeignet, solche Verantwortung zu tragen. Ich gebe Ihnen einen Monat.«
    Es war ein armseliges kleines Zimmer mit einem Fenster, das so schmutzig war, daß man kaum hinaussehen konnte. Die Kommode wackelte, und das Bett war durchgelegen. Aber Samantha fand es herrlich.
    Die Arbeit war hart und anstrengend. Jeden Abend fiel Samantha todmüde in ihr Bett. Doch ihr Enthusiasmus und ihre Entschlossenheit gaben ihr die Kraft durchzuhalten – zur Überraschung aller. Das einzige, was sie wirklich bedauerte, war, daß die anderen Assistenten sich weigerten, sie zu akzeptieren. Ursprünglich waren es neun junge Männer gewesen, aber zwei waren aus moralischer Entrüstung sofort gegangen, als Samantha aufgenommen worden war. Die sieben übrigen zeigten offen ihren Ärger über Samanthas Aufnahme. Sie waren der Auffassung, ihre Anwesenheit mindere das Prestige des Krankenhauses und mache sie und die anderen Ärzte zum allgemeinen Gespött. Sie beschwerten sich bei Dr. Prince, der ihnen

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