Sturmjahre
gratulieren.«
»Danke, Sir. Erinnern Sie sich, daß wir uns schon einmal begegnet sind?«
{196} »Aber natürlich! Glauben Sie, das hätte ich vergessen?« Er lachte. »Ich hatte an dem Abend, den ich in Ihrer reizenden Gesellschaft verbrachte, allerdings keine Ahnung, daß ich es mit einer Dame zu tun hatte, die Geschichte machen würde.«
Samantha wollte gerade etwas erwidern, als hinter ihr Henry Jones rief: »Ah, da sind Sie ja.«
Sein Gesicht war so rot wie eine reife Erdbeere, und er schwitzte stark. »Verzeihen Sie, daß ich bis jetzt keine Zeit für Sie hatte, Dr. Rawlins. Der Mann vom
Boston Journal
ließ mich einfach nicht aus seinen Fängen.« Jones packte Marks Hand und schüttelte sie mehrmals kräftig. »Ich kann Ihnen nicht genug dafür danken, daß Sie heute gekommen sind, Sir. Ihre Anwesenheit hat unserer kleinen Feier besonderes Prestige verliehen. Aber ist denn Mrs. Rawlins nicht mitgekommen?«
»Die Reise wäre ihr zu anstrengend gewesen.«
»Es ist doch hoffentlich nichts Ernstes?«
»Nein, nein, nur eine kleine Indisposition.«
Er ist verheiratet, dachte Samantha.
»… beginnt um vier Uhr«, sagte Henry Jones. »Sie können das Haus nicht verfehlen, ein großes weißes Haus an der Ecke mit gelben Läden.«
Henry Jones nickte ihnen beiden zu und eilte davon. Mark fragte Samantha: »Kommen Sie auch zu dem Festbankett?«
»O ja. Ich wohne bei Mrs. Kendall.«
»Dann darf ich mich jetzt bei Ihnen entschuldigen, Dr. Hargrave. Ich habe in meinem Hotel noch etwas zu tun.« Er lächelte, zögerte einen Moment, als wolle er noch etwas hinzufügen, dann aber lüftete er seinen Zylinder und verneigte sich leicht. »Bis heute nachmittag also.«
Mrs. Kendall hatte sich selbst übertroffen. Die Tafel bog sich förmlich unter der Vielfalt der Speisen. Silber und Porzellan glänzten. Der Duft der Rosenbuketts mischte sich mit den würzigen Gerüchen, die aus dampfenden Schüsseln aufstiegen. Vier Tage lang hatte Mrs. Kendall geschafft, um den Schmaus vorzubereiten, und jetzt saß sie strahlend am oberen Ende der Tafel und freute sich, daß es ihren Gästen schmeckte.
Samantha saß zwischen Henry Jones und seiner Frau genau in der Mitte an der Längsseite des Tisches. Rechts und links von ihnen hatten Dr. Page und seine Frau Platz genommen. Gegenüber saßen Pastor Patterson und seine Frau, der Journalist vom
Boston Journal,
Mr. Collins, Lucernes Lokalreporter und schließlich, Samantha direkt gegenüber, Mark Rawlins.
{197} Die Unterhaltung war lebhaft. Während Samantha sich Mrs. Jones’ Berichte über ihre Enkelkinder anhörte, führte Henry Jones ein angeregtes Gespräch mit Mark.
»Ist Ihr Vater auch Arzt, Sir?«
Mark lachte. »Nein. Mein Vater ist Jurist, genau wie vor ihm sein Vater und sein Großvater.«
»Und Sie haben einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Wie kommt denn das?«
»Ursprünglich war es die reine Rebellion, Dr. Jones. Mein Vater ist ein Patriarch von altem Schrot und Korn, der erwartet, daß die ganze Familie sich nach seinen Wünschen richtet. Als Achtzehnjähriger hat man nicht viele Möglichkeiten zu rebellieren. Mein Vater wollte, daß ich Jura studiere, da studierte ich eben Medizin.«
Jones lachte in seine Serviette. Dann wurde er ernst. »Aber Rebellion als Grundlage für die Berufswahl ist doch auf die Dauer nicht befriedigend.«
»Natürlich nicht. Zu meinem Glück entdeckte ich an der Universität schon sehr bald meine Liebe zur Medizin. Heute bin ich meinem Vater dankbar dafür, daß er mich praktisch in dieses Studium getrieben hat.«
»Und wie steht Ihr Herr Vater heute dazu?«
»An dem Tag, als ich ihm meine Absicht, in die Medizin zu gehen, mitteilte, enterbte er mich. Das war vor dreizehn Jahren. Seitdem haben wir nicht wieder miteinander gesprochen.«
»Oh, ist das nicht schmerzlich für Sie?«
»Nicht besonders«, antwortete Mark trocken. »Meine drei Brüder werden von meinem Vater beherrscht, der von Jahr zu Jahr tyrannischer wird. Sie sind alle drei sehr unglücklich. Ich hingegen bin mein eigener Herr.«
»Aber Sie haben einen hohen Preis dafür bezahlt.«
»Es hat sich gelohnt, Dr. Jones.«
»Ist es möglich, daß ich schon von Ihrem Vater gehört habe?«
»Durchaus, Sir. Mein Vater ist Nicholas Rawlins.«
»Oh, der Eiskönig? Natürlich habe ich von ihm gehört. Ich dachte mir schon, daß Sie vielleicht mit ihm verwandt wären. Er muß, nach seinem bemerkenswerten beruflichen Aufstieg zu urteilen, ein faszinierender Mann
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