Sturmjahre
Kuß erwiderte, empfand er wie ein herrliches Wunder. »O Gott, wie ich dich liebe, Samantha«, flüsterte er. »Ich liebe dich, ich liebe dich.«
Er war überrascht, sich von Liebe sprechen zu hören. Es hatte einige Frauen in seinem Leben gegeben, aber mit Liebe hatte das nie etwas zu tun gehabt. Liebe war ein Gefühl, das Mark fremd war. Und doch sprach er jetzt von Liebe, als wäre sie eine Selbstverständlichkeit, und es fühlte sich wahr und richtig an.
Beinahe verwirrt löste er sich von Samantha. Erst jetzt wurde ihm bewußt, wie egoistisch er sich verhalten hatte.
»Verzeih mir«, sagte er rauh. »Verzeih mir, daß ich dich so rücksichtslos überfallen habe …«
»Tut es dir denn leid?« fragte sie mit einem leisen Lachen.
»Nein«, antwortete er. »Ich möchte dich heiraten, Samantha.« Als er ihre Überraschung sah, fügte er hinzu: »Ich erwarte nicht, daß du mir sofort eine Antwort gibst. Aber überlege es dir wenigstens. Wir könnten ein wunderbares Leben haben, Samantha. Kinder. Wir könnten zusammen arbeiten …«
{259} Sie faßte seine Hand und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Mark hob die Arme und zog sie an sich. Er wußte, er würde niemals aufhören, Samantha zu lieben.
8
»Es muß eine Möglichkeit geben, Landon«, sagte Samantha und schob ihren Frühstücksteller weg. »Ich kann das nicht mehr mitansehen. Dieses Sterben. Völlig sinnlos.«
Er erwiderte nichts. Sie führten diese Diskussion jede Woche von neuem. Patientinnen, die mit einer Eileiterschwangerschaft eingeliefert wurden, mußten sterben. Daran war nichts zu ändern. Warum konnte sie das nicht akzeptieren?
Samantha klopfte mit ihrem Löffel auf die Tischplatte. »Nur ein kleiner Schnitt, dann schnell den Eileiter abbinden, den Fötus entfernen, Zunähen und fertig. Warum ist das nicht zu schaffen?«
Er sah sie nur stumm an. Sie wußte den Grund so gut wie er: weil die Patientin dabei unweigerlich verblutete.
»Landon, lassen Sie uns überlegen. Es muß doch ein Mittel geben, die Blutungen zu kontrollieren. Wenn wir dieses Mittel finden könnten! Denken Sie nur, wir könnten Tausende von Operationen durchführen, ohne jedes Risiko. Blinddarmoperationen, Gallenblasen, Hysterektomien –«
Sie brach ab, als sie Mark in die Kantine kommen sah, und das Unvermeidliche geschah – sie errötete. Seit drei Monaten waren sie nun ein heimliches Liebespaar.
Er sah sich um, wünschte einigen Kollegen guten Morgen und kam dann an den Tisch, wo Samantha und Landon saßen.
»Guten Morgen. Störe ich?«
»Immer die alte Leier, Mark«, antwortete Landon, während er seine Taschenuhr zog und den Deckel aufklappte. »Die Bauchoperation.«
»Hm. Eines Tages schaffen wir sie bestimmt. Halsted behauptet, er hätte mit seiner neuen Klemme einigen Erfolg.«
»Ich habe mir eine seiner Operationen angesehen. Eine Gallenblase. Die Wunde war mit mindestens fünfzig Klemmen gespickt. Halsted hatte fast keinen Platz für seine Arbeit. Er brauchte über eine Stunde.«
Mark zog die Brauen hoch. »Eine ganze Stunde für eine Operation?«
Landon klappte seine Uhr zu und steckte sie wieder ein. »Ich werde mich mal um Mrs. Riley kümmern«, sagte er zu Samantha.
{260} Er nickte ihr und Mark zerstreut zu und ging davon. Mark sah Samantha zwinkernd an. »Und wie geht es Ihnen heute morgen, Dr. Hargrave?«
»Glänzend, Doktor. Und Ihnen?« Drei Monate zuvor waren sie sich wegen dieser Scharade beinahe in die Haare geraten. Mark war entschlossen gewesen, auf den Turm der St. Patrick’s Kathedrale hinaufzustürmen und ihre Verlobung in die ganze Welt hinauszuposaunen; doch Samantha hatte darauf bestanden, ihre Beziehung geheimzuhalten. Am St. Brigid’s herrschten strenge Vorschriften, und Samantha wollte sich nicht vier Wochen vor Beendigung ihrer Assistenzzeit um ihr Zertifikat bringen. Die Vorschriften sagten eindeutig, daß weibliche Krankenhausangestellte weder verheiratet noch verlobt sein durften, und der gesellschaftliche Umgang mit männlichen Angehörigen des Krankenhausbetriebs war ihnen untersagt. Und Samantha war in den Augen Silas Princes eine weibliche Angestellte. Mark hielt ihre Befürchtungen für unbegründet; Samantha war anderer Meinung. Vor wenigen Wochen erst war eine sehr tüchtige Pflegerin entlassen worden, als man entdeckt hatte, daß sie verlobt war.
Nach jener ersten Nacht in ihrem Zimmer gingen sie keinerlei Risiko mehr ein. Sie trafen sich einmal in der Woche in Marks Wohnung, und er hatte
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