Sturmjahre
bei einem Duell am Merced See getötet worden, jedoch nicht, ohne seiner Frau und seinem Sohn ein Vermögen an Eisenbahnaktien zu hinterlassen. Am Tag seines Todes hatte Lydia Elliott einen schwarzen Kranz an ihrer Haustür aufgehängt und hatte sich nie wieder unter Menschen sehen lassen. Über den einzigen Sohn waren alle möglichen Gerüchte in Umlauf, aber niemand wußte wirklich, was aus ihm geworden war.
»Ich glaube nicht, daß sie uns empfangen wird, Samantha. Es heißt, daß sie keinen Besuch mag.«
Während sie die steile Auffahrt hinaufgingen – zwei elegante junge Frauen in modischen Pelzcapes, die gerade die Schultern bedeckten und langen, geraden Röcken, die an der Taille eng gegürtet waren –, hatten sie beide das Gefühl, beobachtet zu werden. Doch die Vorhänge an den hohen Fenstern bewegten sich nicht. Das ganze Haus wirkte verlassen. Nirgends ein Gärtner, nirgends ein Wagen, nicht das kleinste Geräusch.
»Vielleicht lebt sie gar nicht mehr«, murmelte Hilary.
Samantha hob den schweren Türklopfer und ließ ihn fallen. Staub fiel von dem schwarzen Kranz an der Tür.
»Komm, wir gehen wieder«, flüsterte Hilary, aber da wurde die Tür schon geöffnet, zu ihrem Erstaunen von einem sehr würdevollen und tadellos gekleideten Butler.
»Ja?«
Hilary erklärte kurz ihr Anliegen und reichte ihm ihre Karte. Der Butler bat sie, Platz zu nehmen, und ging, die Karte auf einem Silbertablett, gemessenen Schrittes davon. Samantha und Hilary sahen sich um.
{303} »Es ist – wunderschön«, flüsterte Hilary. »Und so sauber.«
Als der Butler zurückkam, bat er sie, ihm zu folgen und führte sie in einen hell und freundlich eingerichteten Wintergarten. Wenige Minuten später erschien Lydia Elliott.
Sie ging gebeugt und auf einen Stock gestützt. Die Haut ihres Gesichts war von einem Netzwerk feiner Fältchen durchzogen. Sie sah sehr alt aus, aber ihre Augen verrieten einen wachen und lebendigen Geist. Das gepflegte weiße Haar war in der Mitte gescheitelt und im Nacken zu einem Knoten geschlungen. So altmodisch wie die Frisur war das schwarze Kleid, unter dem sie noch die längst verpönte Krinoline trug. Aber das Kleid war unverkennbar neu geschneidert; es war, als wollte Lydia Elliott der Zeit trotzen, sie zum Stillstand bewegen.
Nachdem Hilary und Samantha sich vorgestellt hatten, wobei bei der Erwähnung des Doktortitels ein Funken von Interesse in den dunklen Vogelaugen aufblitzte, sagte Lydia Elliott: »Wissen Sie, ich empfange selten Besuch, aber das kommt vor allem daher, daß heutzutage so selten jemand zu mir kommt. Der Butler sagte mir, daß Sie wegen eines Wohlfahrtskrankenhauses hier sind.«
Hilary erklärte, und Lydia Elliott hörte ihr mit Interesse zu, als aber Hilary zum geplanten Kauf des
Gilded Cage
kam, hob die alte Dame gebieterisch die Hand.
»Schluß«, sagte sie kalt. »Ich will kein Wort mehr hören. Bitte gehen Sie. Charnley wird Sie hinausbringen.«
»Aber Mrs. Elliott –« protestierte Hilary.
»Junge Frau«, fuhr Lydia Elliott sie zornig an und klopfte dabei mit ihrem Stock auf den Boden, »wie können Sie es wagen, hierher zu kommen und dieses – dieses Haus zu erwähnen! Als Charnley mich über den Zweck Ihres Besuchs unterrichtete, öffnete ich Ihnen meine Tür. Sie haben mein Vertrauen grob mißbraucht. Verlassen Sie auf der Stelle mein Haus!«
»Mrs. Elliott«, sagte Samantha rasch, »es tut mir von Herzen leid, wenn wir Sie beleidigt haben, aber das
Gilded Cage
ist das ideale Gebäude für unser –«
»Mich beleidigt?« rief die alte Dame. »Sie haben eine Wunde aufgerissen und Salz hineingestreut.«
Samantha und Hilary starrten sie erschrocken an.
»Da!« rief sie mit zitternder Stimme und wies auf ein Porträt über dem Kamin. »Mein Mann. Erschossen vom Besitzer eines Etablissements, wie das
Gilded Cage
eines ist. Damals wurden die Straßen von den
vigilantes
bewacht, aber diesen Mann haben sie nie seiner gerechten Strafe zugeführt. Es war ein Duell, sagten sie. Schöne Ausrede!«
{304} »Das tut mir leid, Mrs. Elliott!«
»Na und? Davon wird mein Mann auch nicht wieder lebendig. Und mein Sohn ebensowenig. Bitte gehen Sie jetzt endlich.«
Hilary setzte sich gehorsam in Bewegung, aber Samantha blieb stehen. »Was ist Ihrem Sohn denn zugestoßen, Mrs. Elliott?« fragte sie teilnehmend.
Plötzlich schossen der alten Dame die Tränen in die Augen, und sie ließ sich wieder in ihren Sessel sinken. Ihre Stimme kam wie aus weiter Ferne. »Er
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