Sturmjahre
hier der Fachmann, was die Finanzierung anging; sie sollte wirklich auf ihn hören. Ein Wohlfahrtskrankenhaus – das waren doch nichts als Flausen! Die Reichen der Stadt konnten sich schon jetzt kaum retten vor Spendenaufrufen – für Waisenhäuser, Invalidenheime, Tierheime und weiß der Himmel was sonst noch für wohltätige Einrichtungen. Wenn er sie nur überreden könnte, von jedem Patienten ein Honorar zu verlangen.
Der dritte der anwesenden Experten hatte sich gründlich in Samantha Hargrave verguckt. Stanton Weatherby, Rechtsanwalt der Familie Gant, {297} war ein kultivierter, geistreicher Witwer von fünfzig Jahren, der nach dem Tod seiner Frau vor fünfzehn Jahren davon überzeugt gewesen war, daß es nie wieder eine andere Frau für ihn geben könne. Bis er Samantha Hargrave kennengelernt hatte.
»Wie dem auch sei«, sagte Darius, das Schweigen brechend, »wir haben ja noch nicht einmal den Standort für das Krankenhaus gefunden, und solange der nicht da ist, sind alle Finanzdiskussionen müßig.«
»Doch«, entgegnete Hilary strahlend. »Wir haben ihn gefunden.«
Die drei Männer wandten sich ihr zu.
Sie warf einen etwas nervösen Blick auf Samantha – sie wußten beide, wie kritisch dieser Moment war –, dann sagte sie schnell und atemlos: »Wir haben nicht nur den Ort gefunden, wir haben sogar ein Gebäude gefunden, das absolut ideal ist. Und es hat eine ausgezeichnete Lage, mitten in der Stadt, so daß die Patienten keine Schwierigkeiten haben werden, es zu erreichen.«
»Wo ist es?« fragte LeGrand.
»In der Kearny Street. Nicht weit weg vom Portsmouth Square.«
Er zog die Brauen hoch. »Was ist das für ein Gebäude?«
Sie drückte die Hände in ihrem Schoß zusammen. »Es ist das
Gilded Cage.«
»Das
Gilded
–«, stotterte Darius und sprang auf.
LeGrand, der meinte, die Damen wollten sich einen Scherz erlauben, lachte leise. Aber dann sah er, daß es ihnen ernst war, und er war tief erschüttert.
»Madam«, donnerte Darius, »hast du völlig den Verstand verloren?«
»Das
Gilded Cage
ist wie geschaffen für unser Krankenhaus«, entgegnete Hilary ruhig. »Samantha und ich haben es gründlich besichtigt. Die obere Etage ist genau richtig für die Schwesternunterkünfte. Es gibt Lastenaufzüge, mit denen man das Essen aus der Küche nach oben befördern kann, und –«
»Mrs. Gant!« brüllte Darius. »Soll das etwa heißen, daß ihr dieses Haus betreten habt?«
Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte.
LeGrand legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und sagte ruhig: »Augenblick mal. Wenn ich die Damen richtig verstehe, steht das
Gilded Cage
zum Verkauf, und ich vermute, sie beide haben es in Begleitung des Maklers besichtigt.«
»So ist es.«
»Aber, meine Damen, ist Ihnen klar –«
»Mr. Mason«, sagte Samantha ruhig, »wir wissen, was das
Gilded Cage
{298} für ein Haus ist. Wichtig ist, daß das Gebäude zu verkaufen ist und für unser Krankenhaus wie geschaffen ist.«
»Nein«, widersprach Darius.
Alle sahen ihn an. Er drehte sich langsam um. Sein Gesicht war hart. »Das kommt nicht in Frage.«
»Aber Darius –«
»Die Sache ist erledigt, Madam.«
Samantha rührte sich nicht in ihrem Sessel. Sie wußte, die kleinste Bewegung würde ihren Zorn und ihren Ärger verraten. Sie und Hilary hatten vermutet, daß es zu dieser Szene kommen würde. Sie hatten beschlossen, einen günstigen Moment abzuwarten, um diesen Männern, die den Verwaltungsrat des Krankenhauses bilden sollten, von ihrer Besichtigung zu berichten. Aber für so etwas gab es eben keinen günstigen Moment. Selbst Hilary war noch vor einer Woche, als sie im
Chez Pierre
beim Mittagessen gesessen hatten, schockiert gewesen über Samanthas Vorschlag, ein berüchtigtes Freudenhaus in ihr Krankenhaus umzufunktionieren. Doch Hilary hatte sich überzeugen lassen. Diese Männer aber würden sich offensichtlich niemals überzeugen lassen.
Samantha war inzwischen immun gegen schockierte Gesichter und ungläubige Entrüstung. Als sie und Hilary den Makler aufgesucht und ihm mitgeteilt hatten, sie wünschten das Haus zu besichtigen, hatten er und seine Mitarbeiter sie mit offenen Mündern angestarrt. Ebenso schockiert war der Droschkenkutscher gewesen, der sie zu dem Haus gefahren und den Damen aus dem Wagen geholfen hatte. Selbst der Türsteher, die Männer an den Spieltischen, die Barkeeper, der Klavierspieler und schließlich Choppy Johnson, der Eigentümer, hatten sich entsetzt
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