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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sie sich beteiligte, ihre Ehrlichkeit. Verbunden damit war ihre vertrauensvolle Überzeugung, daß jeder Mensch im Grunde seines Herzens gut war. Alle anderen sahen {36} nur die äußere Person; Samantha aber sah hinter die Fassade und erkannte die gute Seele, den Menschen, der ins Unglück geraten war. Samantha glaubte fest daran, daß die Menschen durch die Umstände zum Bösen gezwungen wurden, daß kein Mensch aber von Natur aus böse war.
    Freddy meinte, sie wäre dumm, und er sagte es ihr oft genug. Als sie Mitleid mit den Wursthändlern äußerte, die sie gemeinsam bestahlen, versuchte er, ihr das einfache Gesetz vom Überleben des Gewitztesten zu erklären. Als sie den armamputierten Veteranen aus dem Krimkrieg, die am Piccadilly Circus bettelten, alles gab, was sie an einem Tag zusammengestohlen hatte, versuchte Freddy ihr klarzumachen, daß viele von ihnen nur Theater spielten; daß sie ihre Arme unter dem Hemd verbargen und mit dem, was sie von weichherzigen Dummköpfen wie ihr erbettelten, ein flottes Leben führten. Doch mit der Zeit sah er ein, daß es ihm nicht gelingen würde, sie zu seinen Ansichten zu bekehren, und er gab alle Versuche auf. Er mochte sie einfach so, wie sie war.
    Und da Samantha an den Leuten, die im Crescent lebten, nichts Böses sehen konnte, war es nur natürlich, daß ihr Vater, ihr Retter, in ihren Augen die reine Verkörperung alles Guten war. Ihr brennendster Wunsch war es, seine Anerkennung zu finden. Doch als selbst nach Wochen heißesten Bemühens bei den abendlichen Unterrichtsstunden jedes Lob von ihm ausblieb, meinte Samantha, sie müsse wohl ein anderes Mittel finden, ihm zu gefallen.
    Sie schleppte gerade einen Eimer Wasser von der Pumpe am Ende der Straße zu ihrem Haus, in dem es kein fließendes Wasser gab, als Freddy über die Straße gelaufen kam und mit anpackte. Mit einem breiten Grinsen sah er sie an.
    »Dich kriegt man ja fast überhaupt nicht mehr zu sehen, Prinzessin.«
    Samantha zuckte nur die Achseln, während sie, den schwappenden Eimer zwischen sich, weiter die schmutzige Straße hinuntergingen. Freddy hatte ja keine Ahnung, wie das mit einem Vater war.
    Als sie vor dem Haus angekommen waren, erzählte Freddy ihr prahlerisch, er hätte sich in den letzten Tagen einen ganzen Sack voll Pennies verdient.
    »Und wo kann einer wie du soviel Geld verdienen?« fragte sie.
    »Beim Gerber drüben.« Er hob den Arm und zeigte ihr das Haus. »Der zahlt pro Eimer einen halben Penny. Er braucht das Zeug für seine Arbeit.«
    »Was für Zeug?«
    Freddy drückte beide Hände in seinen Magen und lachte laut heraus. {37} »Was für Zeug? Warum fragst du ihn nicht selber, Prinzessin?« Damit rannte er, immer noch lachend, davon.
    Samantha sah ihm verwundert nach, und plötzlich hatte sie eine Idee: wenn sie sich auch ein bißchen Geld verdiente, konnte sie ihrem Vater ein Geschenk kaufen.
    Der Gerber brauchte, wie sich herausstellte, Hundekot für seine Arbeit und zahlte pro Eimer, wie Freddy gesagt hatte, einen halben Penny. Es war harte Arbeit, einen ganzen Eimer zu füllen, und die Konkurrenz war erbittert, da viele Kinder sich auf diese Weise Geld verdienten. Mit Eimer und Schäufelchen bewaffnet, die der Gerber ihr gestellt hatte, wanderte Samantha den ganzen Tag durch Straßen und Gassen und langte schließlich bei Sonnenuntergang todmüde wieder vor der Werkstatt des Gerbers an, wo ihre alten Freunde sie mit Spott und Gelächter empfingen. »He, bei uns zu Haus’ gibt’s immer
Butter
aufs Brot!«
    Samantha drängte sich mit stoischer Miene durch die Meute, aber als nachher einer der Rowdys ihr den halben Penny aus der Hand riß, den sie vom Gerber erhalten hatte, und damit davonlief, brach sie in Tränen aus. Die Kinder lachten sie aus, und Freddy lief grinsend auf Samantha zu.
    Auf dem Heimweg hörte er sich ihren Jammerbericht über den Verlauf des Tages an, und vor ihrem Haus blieb er, die Hände in die Hüften gestemmt, stehen.
    »Du bist blöd, Samantha, da nützt dir das ganze Schreiben und Lesen nichts. Die andern machen sich nicht soviel Arbeit. Es gibt ja gar nicht genug Hundescheiße für alle. Du hättest den Eimer mit deiner eigenen vollmachen können und dann für obendrauf noch ein paar Haufen sammeln können. Der Gerber hätt’s bestimmt nicht gemerkt. Du bist wirklich dumm, Prinzessin!«
    Dann rannte er lachend davon.
    Fünf Minuten später musterte Samuel Hargrave naserümpfend seine Tochter, inspizierte die braunen Flecken an ihren Händen und

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