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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Schulter. »Ich hab’ ja gleich gewußt, daß dir der Mumm fehlt. Du bist eben doch ein Angsthase.«
    »Bin ich nicht!«
    »Pst, sonst erwischen sie uns und schmeißen uns raus. Na los, wenn du nicht bange bist, dann geh’ doch rauf.«
    Langsam stieg Samantha die Treppe hinauf. Oben hielt sie an und pirschte sich an den Türpfosten heran, um in den Raum dahinter sehen zu können. Sie befand sich in der obersten Sitzreihe eines Operationssaals. In den drei unteren Reihen drängten sich Schulter an Schulter Medizinstudenten, Ärzte und chirurgische Assistenten. An Metallgeländer gelehnt, schauten sie gespannt zu dem leeren Operationstisch hinunter. {40} Es war, als warteten sie auf den Beginn einer Theatervorstellung. In der obersten Reihe, weit weg von der Tür, saßen die Medizinstudenten mit ihren nervösen Freundinnen.
    Dicht an Freddy gedrückt blieb Samantha in der Ecke stehen und sah, wie unten eine Flügeltür aufgestoßen wurde. Als erster trat der mächtige grauhaarige Mann ein, der immer noch die blutige Fleischerschürze um den Leib hatte. Augenblicklich wurde es mucksmäuschenstill im Saal. Ihm folgten die vier Assistenten mit blutbefleckten Händen und Armen und zwei Träger, die den Weidenkorb mit der Patientin in den Operationssaal trugen.
    Sie war ein mageres kleines Ding, zart wie ein Vögelchen, und sie zitterte vor Angst. Die Träger halfen ihr auf den Tisch, ihr Blick flog gehetzt über die Gesichter der vielen fremden Menschen, die ohne eine Gefühlsregung zu ihr hinunterstarrten, und während einer der Assistenten daran ging, ihr Kleid aufzuknöpfen, wandte sich der Professor für klinische Chirurgie, Mr. Bomsie, mit dröhnender Stimme an sein Publikum.
    »Die Patientin ist fünfundzwanzig Jahre alt, Dienstmädchen in Notting Hill. Ihr Arbeitgeber schickte sie zu Dr. Murray, weil sie über starke Schmerzen in der rechten Brust klagte. Bei der Untersuchung wurden ein Knoten von der Größe eines Apfels und eine eingezogene Brustwarze festgestellt, die ständig blutete. Ohne Operation wird die Patientin ohne Zweifel innerhalb eines Jahres sterben.«
    Bomsie nickte einem seiner Assistenten zu. Der junge Mann ging zu einem Schrank an der Wand und wählte Mr. Bomsies Lieblingsinstrumente aus: zwei Skalpelle, ein Tenakel, einige Klemmen, eine Schere. Er legte sie auf einen Instrumententisch beim Kopf der Patientin.
    Die Frau, deren Brust jetzt entblößt war und die verzweifelt darum bat, gehen zu dürfen, wurde angeschnallt.
    Das North London Hospital war das erste Krankenhaus in England, wo mit Narkose operiert wurde. Das hieß jedoch nicht, daß Anästhesie eine Selbstverständlichkeit war; vielmehr lag es im Ermessen jedes einzelnen Chirurgen, Chloroform einzusetzen. Mr. Bomsie zog es vor, ohne Narkose zu arbeiten. Seine Begründung dafür wurde von vielen seiner Kollegen geteilt: Allzu viele Patienten starben unter der Einwirkung von Chloroform und Äther. Das Risiko, daß sie aus der Operation nicht mehr erwachten, nur weil man ihnen ein paar Minuten Schmerz hatte ersparen wollen, war unverhältnismäßig hoch. Das war die Erklärung, die Mr. Bomsie der Öffentlichkeit gab. Tatsächlich lag der Grund für seine Abneigung gegen die Narkose in seinem Alter – er war über sech {41} zig – und auch darin, daß er ein herausragender Operateur von beinahe schon legendärem Ruf war.
    In den Tagen vor der Narkose – und die lagen noch nicht lange zurück – galt derjenige als der beste Operateur, der am schnellsten arbeitete und den Patienten dem geringstmöglichen Schmerz aussetzte. Nun jedoch, wo es die Narkose gab, wo der Patient nicht mehr vor Schmerz schreiend versuchte, sich aus den Gurten zu befreien, sondern friedlich schlummerte, konnte der Operateur sich Zeit lassen. Nicht mehr der Chirurg, der am schnellsten arbeitete, heimste die Lorbeeren ein, sondern der, welcher das meiste Geschick bewies, und wenn auch Gerald Bomsie an Schnelligkeit kaum zu schlagen war, fehlte es ihm doch an Finesse. Die Anästhesie drohte ihn seines Glorienscheins zu berauben. Da viele der älteren Chirurgen ihre Operationen noch nach alter Weise durchführten, ohne Narkose nämlich, stellte keiner der an diesem Maimorgen im Saal Anwesenden Mr. Bomsies Methode in Frage.
    Gerald Bomsie klemmte sich das Skalpell zwischen die Zähne, um sich mit beiden Händen noch einmal durch seine Löwenmähne zu fahren, dann beugte er sich über die angstvoll schreiende Patientin, straffte mit der einen Hand die Haut der

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