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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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eigene Erfindung. Die meisten Chirurgen arbeiteten, wenn sie überhaupt an die Notwendigkeit der Keimfreiheit glaubten, mit Karbol. Samantha hatte festgestellt, daß die Säure die empfindlichen Gewebe ihrer Patientinnen reizte. Nachdem sie von einer neuen Sterilisierungsmethode mit Dampf gelesen und selbst damit experimentiert hatten, hatte Samantha ihren eigenen Sterilisator konzipiert. Er war, soweit sie wußte, der erste seiner Art und gab Anlaß zu vielen Kommentaren. Insbesondere wurde vermerkt, daß die Infektionsrate am Frauen- und Kinderkrankenhaus San Franciscos niedriger war als der Landesdurchschnitt.
    Als Samantha die heißen Instrumente herausnahm und in eine flache Schale legte, bemerkte sie, daß die Glastüren des Schrankes neben dem Sterilisator beschlugen. Sie nahm sich vor, das Gerät an einen anderen Platz stellen zu lassen, dann nahm sie ein Tuch und wischte sorgsam das Glas ab. Dies war ein besonderer Schrank.
    Auf seinen Borden lagen Joshuas Instrumente. Sie waren schon lange nicht mehr in Gebrauch und würden wohl auch nie wieder zur Hand genommen werden, da sie völlig veraltet waren; doch Samantha waren sie beinahe heilig. Für sie symbolisierten diese schönen alten Instrumente die Zukunft und den Fortschritt. Sie erinnerten sie daran, daß dies eine neue Ära war. Im Sterilisator waren die neuen Instrumente, die sie gekauft hatte und die alle ihre Ärztinnen benützten: Instrumente aus glattem, blitzendem Metall, wie sie nun überall eingesetzt wurden. Mit der immer weiter um sich greifenden Überzeugung, daß Wundentzündungen und Brand in der Tat durch Keime verursacht wurden, mußten die altmodischen Instrumente mit ihren fein gearbeiteten Bein- und Holzgriffen weichen, denn man konnte sie nicht sterilisieren. Diese kleinen Kunstwerke, die, kunstvoll geschnitzt und ziseliert, zu einer Zeit hergestellt worden waren, als man die Qualität eines ärztlichen Instruments nach seiner Schönheit und nicht nach seiner Funktionsfähigkeit beurteilte, waren jetzt nicht mehr zu gebrauchen. Samantha hätte sie verkaufen können, aber sie behielt sie zur ständigen Mahnung daran, daß alles fortschreitet, und zur Erinnerung an ein Versprechen, das sie einst gegeben hatte.
    Aus dem unteren Stockwerk, wo die Frauen des Damenkomitees mit Fruchtkuchen und warmem Punsch von Krankenzimmer zu Krankenzimmer gingen, drangen fern und süß die Klänge von ›Stille Nacht‹ herauf. Es war der Tag vor Weihnachten, ein frischer, klarer Tag, aber hier im Krankenhaus, wo Schwestern und Ärztinnen schon seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen waren, ein Tag wie jeder andere. Nicht einen {316} einzigen ruhigen Tag hatte es in den fünf Monaten seit Eröffnung des Krankenhauses gegeben. Samantha mußte lächeln, als sie daran dachte, daß sie gefürchtet hatten, es könnten keine Patientinnen kommen. Als sie mit ihren neuen Mitarbeiterinnen am Morgen nach dem großen Fest hier angekommen war, hatte vor der Tür schon eine kleine Menge gewartet, und seit jenem Tag hatte niemals ein Bett leergestanden.
    »Dr. Hargrave!«
    Sie fuhr hoch. Schwester Collins kämpfte mit der Patientin unter der Äthermaske. Samantha rannte zum Operationstisch und drückte die Schultern der sich aufbäumenden Frau hinunter. »Mehr Äther, Schwester!« sagte sie.
    »Aber ich bin schon ganz nahe an der tödlichen Dosis, Doktor.«
    »Er hat offensichtlich keine Wirkung. Geben Sie ihr mehr!«
    Mit zitternden Händen gehorchte die Schwester, und wenig später schlief die Patientin friedlich.
    Willella Canby kam zur Tür herein, noch dabei, sich ihr Häubchen festzustecken. »Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe, Doktor. Ich mußte zu einem Hausbesuch – oh, Sie haben noch nicht angefangen.«
    »Die Patientin spricht auf den Äther nicht an. Würden Sie sie bitte einen Moment für mich beobachten?«
    Samantha nahm die Karte, die an einem Haken am Fuß des Operationstischs hing, und las noch einmal Mrs. Cruikshanks Krankengeschichte und die Ergebnisse der letzten Untersuchung durch. Zu ihrer Verwunderung fand sie nichts in der Geschichte der Frau, was erklärt hätte, warum sie auf die Narkose nicht ansprach.
    Als die Patientin wieder anfing, unruhig zu werden, sagte Samantha: »Lassen wir es. Wir müssen die Operation verschieben, bis wir festgestellt haben, was da los ist.«
    »Das ist wirklich ungewöhnlich«, meinte Willella. »Ich habe so was noch nie erlebt.«
    »Ich schon«, erwiderte Samantha nachdenklich. »Einmal. In New

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