Sturmjahre
{343} grollte sie Darius dafür, daß er ein Mann war, frei zu tun, was ihm gefiel.
Sie lief in ihr Zimmer und warf sich aufs Bett. Ich hasse dich, Darius, daß du mir das schon wieder angetan hast. Und ich hasse dich dafür, daß ich mich auf dieses Kind nicht freuen kann; daß ich es am liebsten nicht bekommen würde.
Ach, es war alles so wirr und durcheinander. Sie liebte Darius wie am Tag ihrer Trauung, aber sie verabscheute ihr Leben,
wie es jetzt war.
Nach einer Weile stand sie auf und begann, sich auszukleiden. Früher hatte ihr Elsie immer dabei geholfen, aber seit einiger Zeit war Hilary es leid, sich ständig bedienen zu lassen. Dreiunddreißig Jahre lang hatte sie nie auch nur den kleinsten Handgriff getan; aber seit ein paar Monaten konnte sie die beflissenen Butler, die sie nie eine Tür selbst aufmachen ließen, die ritterlichen Herren, die sie nie eine Treppe hinaufsteigen ließen, ohne sie zu stützen, die devoten Zofen, die ihr beim An- und Auskleiden halfen, nicht mehr aushalten.
Sie hielt seufzend inne. Die Kopfschmerzen fingen wieder an. Erst zwei Monate schwanger, und schon fühlte sie sich so matt und elend wie damals, als sie Myrtle erwartet hatte. Noch sieben Monate Übelkeit, Schmerz und Lethargie.
Sie ging ins anschließende Badezimmer, öffnete ein Schränkchen und nahm eine Flasche Farmers Frauenfreund. Dahlia Mason hatte ihr das Mittel empfohlen; auch ihre zweite und dritte Schwangerschaft waren schwierig gewesen. »Es wirkt wirklich Wunder«, hatte sie Hilary versichert. Hilary hatte den Saft während ihrer letzten Schwangerschaft regelmäßig eingenommen und auch hinterher gelegentlich zu dem Mittel gegriffen, da es in der Tat bei Rückenschmerzen und Menstruationskrämpfen gut half.
Auf dem Etikett wurde betont, das Mittel sei extra für die werdende Mutter gedacht und nach ›wissenschaftlichen‹ Erkenntnissen zusammengestellt worden.
›Wenn Sie unter einem oder mehreren dieser Symptome leiden‹, stand da, ›Lethargie, Mattigkeit, Teilnahmslosigkeit, Übelkeit, schlechter Mundgeschmack, beeinträchtigtes Allgemeinbefinden, trockene Haut, häufiges Wasserlassen, Spannung in den Brüsten, Angstgefühle, Augenflimmern, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Herzklopfen, Depression oder sonstigen Symptomen, die natürlicherweise während einer Schwangerschaft auftreten, garantieren wir, daß Farmers Frauenfreund Sie augenblicklich von ihnen befreien wird. Sollten Sie nicht zufrieden sein, so erhalten Sie Ihr Geld zurück.‹
{344} Nicht alle diese Symptome quälten Hilary, aber einige davon setzten ihr sehr zu, vor allem Depression und Mattigkeit. Und das Mittel wirkte tatsächlich; sie brauchte nur davon zu nehmen, und gleich sah die Welt wieder rosiger aus.
Sie schluckte einen Eßlöffel voll, wartete einen Moment, nahm dann noch einen.
Es war nicht nur die Schwangerschaft, die Hilary so elend machte. Es war ein Gefühl der Sinnlosigkeit, als wäre ihr ganzes Leben vergeudet, das sie deprimierte. Ihre Arbeit für das Krankenhaus in den vergangenen sieben Jahren hatte ihr Freude und Befriedigung gebracht, aber sie hatte sich ihr immer nur halbherzig widmen können, weil sie beinahe ununterbrochen schwanger gewesen war. Nach Cornelius hatte sie gehofft, das endlich hinter sich zu haben, frei zu sein, und hatte sich mit Enthusiasmus in die Arbeit für das Damenkomitee gestürzt. Jetzt war diese Hoffnung dahin.
In der vergangenen Woche hatte Hilary sich angesichts der sieben langen Monate, die vor ihr lagen, überlegt, daß sie sich um die Leitung des Hauses kümmern könnte; damit hätte sie Darius etwas abnehmen können und wäre sich nicht mehr so unnütz vorgekommen. Aber Darius hatte sie ausgelacht, als sie ihn gebeten hatte, ihr die Finanzen zu erklären. Als sie dann noch nach ihren Vermögensverhältnissen gefragt hatte, war Darius ungeduldig geworden und hatte gesagt, sie solle mit diesem Unsinn aufhören.
Ich bin absolut überflüssig, hatte Hilary gedacht, und Eiseskälte hatte sie beschlichen.
Sie sehnte sich nach einem Gespräch mit Samantha, aber Samantha war nie zu erreichen. Das Krankenhaus, das in einem Maß gewachsen war, wie sie es nie erwartet hatten, nahm sie völlig in Anspruch. Vor zwei Jahren hatte man ein zweites Gebäude dazugekauft und renoviert; fünfzig neue Betten wurden installiert, die Schwesternschule in ein Haus auf der anderen Straßenseite verlegt. Die Arbeit, die der Zuwachs an Patienten und die Einführung neuer Geräte mit sich brachten,
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