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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Viertelstunde später wieder ins Haus ging, setzte sie sich sofort an ihren Schreibtisch, schob sich die Brille auf die Nase und las noch einmal aufmerksam die Aufzeichnungen, die sie zu Willella Canbys Verteidigung niedergeschrieben hatte. Stanton Weatherby, der jetzt ein guter Freund und ihr Anwalt war, hatte ihr versichert, daß der Kläger – der erboste Vater der Patientin – die Klage zurücknehmen würde, sobald er von dem Betrug seiner Tochter erfuhr. Jetzt wollte Samantha von sich aus etwas tun, um derartigen unerfreulichen Zwischenfällen in Zukunft vorzubeugen.
    Sie hatte gelesen, daß vorgetäuschte Fehlgeburten an den städtischen Krankenhäusern inzwischen fast an der Tagesordnung waren. Ein Arzt hatte empfohlen, man solle, ehe man die Patientin operierte, das Blut unter dem Mikroskop untersuchen. Mit Hilfe einer solchen Untersuchung ließe sich eindeutig feststellen, ob es sich um eine vorgetäuschte Fehlgeburt handle oder nicht, da die roten Blutkörperchen von Hühnerblut einen Zellkern haben, die von Menschenblut hingegen nicht.
    Samantha nahm ihren Füllfederhalter und begann zu schreiben.
     
    Hilary starrte das Telefon an und dachte: Du bist überhaupt nicht mehr zu erreichen, Sam. Wenn man zu dir vordringen will, muß man krank sein.
    Sie stand aus dem Sessel vor ihrem Sekretär auf und schlüpfte in ihr Nachthemd. Der hohe Spiegel zeigte ihr, daß sie füllig geworden war, längst nicht mehr so schlank und biegsam wie früher. Seit Jahren war sie nicht mehr ausgeritten; zum Bogenschießen kam sie vielleicht einmal alle paar Monate. Sie wurde eine richtige alte Matrone. Hilary war angewidert von sich selbst.
    Sie setzte sich wieder vor ihren Toilettentisch und drehte die kleine Pappschachtel in den Händen. Dann hob sie den Deckel hoch und schaute zornig auf das Ding, das darin verborgen war. Sie war einmal glücklich gewesen über seinen Besitz; jetzt war sie nur wütend. Falsche Sicherheit {349} ist schlimmer als überhaupt keine Sicherheit. Sie gab dem Ding die Schuld an dieser ungewollten Schwangerschaft.
    Empfängnisverhütung war in Amerika gesetzlich verboten. Während die europäischen Frauen leichten Zugang zu solchen zuverlässigen Mitteln wie dem Pessar hatten, mußten amerikanische Frauen auf die völlig unzulänglichen Verhütungsmethoden zurückgreifen, die schon ihre Mütter und Großmütter angewendet hatten: chiningetränkte Schwämmchen, Tampons aus Bienenwachs und ähnliche Provisorien. Die Nachricht von den europäischen Verhütungsmitteln, die bis nach Amerika gedrungen war, hatte dort zu großer Nachfrage geführt; die wenigen, die eingeschmuggelt wurden, verkaufte man zu hohen Preisen. Am Frauen- und Kinderkrankenhaus in San Francisco sprachen jeden Monat Hunderte von Frauen vor, die Hilfe suchten, aber man konnte nichts tun. Das Gesetz war klar und eindeutig: Jedem Arzt, der solche Mittel ausgab, wurde die Erlaubnis zu praktizieren entzogen.
    Samantha quälte das Dilemma. Sie wollte helfen, aber sie fürchtete, das Krankenhaus zu gefährden. Sie und die anderen Ärztinnen umgingen das Gesetz, wenn immer möglich, indem sie Tampons und Spritzen vorgeblich zur Behandlung von Scheideninfektionen ausgaben. In Wirklichkeit enthielten sie Spermizide. Was sie taten, war äußerst riskant, und sie alle lebten in der Furcht vor Entdeckung, aber sie brachten es nicht über sich, die elenden, ausgezehrten Frauen abzuweisen, die in ihrer Verzweiflung damit drohten, bei der nächsten Schwangerschaft sich umzubringen. Als Hilary um Hilfe gebeten hatte, hatte Samantha keinen Augenblick gezögert und der Freundin ein entsprechend präpariertes Schwämmchen gegeben.
    Das Schwämmchen hatte sechs Wochen lang sein Werk getan, ohne daß Darius von seinem Vorhandensein eine Ahnung gehabt hatte. Dann hatte es einmal versagt, und die Folge war eine weitere Schwangerschaft gewesen. Cornelius war zur Welt gekommen.
    Über eine Freundin war es Hilary gelungen, sich ein Pessar zu beschaffen. Samantha hatte es ihr eingesetzt und ihr genaue Gebrauchsanweisungen gegeben. Zwei herrliche Jahre lang war alles gut gegangen, aber dann hatte es die nächste Panne gegeben. Nun war sie wieder schwanger, Hilary fühlte sich verraten und verkauft.
    Resigniert drückte sie den Deckel auf die kleine Pappschachtel und legte sie wieder an ihren versteckten Platz in der Kommode. Sie hatte immer noch rasende Kopfschmerzen. Sie ging ins Bad und holte die Flasche aus dem Schränkchen.

{350} 2
    Samantha war zornig.

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