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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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sie zu den blitzenden Lichtern der Bucht hinuntersah. Solche Augenblicke der Muße waren selten in ihrem Leben, und sie genoß sie stets in vollen Zügen. Trotz der vielen Arbeit, der oft schwierigen Aufgaben, die jeden Tag auf sie warteten, war sie glücklich. Viele ihrer frühen Träume waren wahr geworden, sie war als Ärztin anerkannt, und ihr Beruf füllte sie aus; sie hatte gute und zuverlässige Freunde; sie hatte keine Geldsorgen; und sie hatte ihre beiden Kinder.
    Viel von ihrem Glück hatte sie Adam Wolff zu verdanken, der, an jenem Heiligen Abend vor sieben Jahren wie von Gott gesandt auf der Schwelle gestanden hatte, gerade in jenem Augenblick gekommen war, als Jenny das erstemal versucht hatte, sich aus eigener Kraft aus ihrem inneren Gefängnis zu befreien. Schon in der ersten Stunde des Zusammenseins mit Jenny war es ihm gelungen, Verbindung zu ihr aufzunehmen, eine Verbindung besonderer Art, die beinahe von Tag zu Tag inniger wurde und wunderbare Früchte trug. Mit seiner einfühlsamen Hilfe war Jenny zu einem lebhaften und gefühlvollen jungen Mädchen aufgeblüht.
    Adam Wolff hätte ein schöner junger Mann sein können. Aber der Unfall auf Telegraph Hill, wo er, zehn Jahre alt, mit seinem Vater in einer Sprengmannschaft gearbeitet hatte, hatte ihm nicht nur das Gehör ge {347} raubt, sondern auch sein Gesicht grausam entstellt. Die Missionsbrüder hatten den Jungen, der durch den Unfall den Vater verloren hatte, bei sich aufgenommen und ihn auf die Taubstummenschule geschickt, wo er sechs Jahre lang die Zeichensprache und das Ablesen von den Lippen gelernt hatte. Danach hatte er selbst fünf Jahre an der Schule unterrichtet.
    Ursprünglich war vereinbart worden, daß Adam Wolff nur so lange im Haus Samantha Hargraves bleiben sollte, bis er Jenny gewisse Fertigkeiten beigebracht hatte. Aber während Adam sich geduldig bemüht hatte, das Mädchen in der Zeichensprache zu unterrichten, hatte er, ohne sich dessen bewußt zu sein, Jennys Seele befreit.
    Es war nicht über Nacht geschehen, sondern ganz allmählich, und während der Bann der frühen Jahre langsam von Jenny abfiel, hatte niemand mehr daran gedacht, daß Adam eigentlich nur vorübergehend ihr Lehrer sein sollte. Er blieb und wurde bald von allen als zur Familie gehörig betrachtet.
    Anfangs hatte Samantha gemeint, sie könne vielleicht etwas tun, um die Entstellungen im Gesicht des jungen Mannes zu beheben; aber bei näherer Untersuchung hatte sie festgestellt, daß die Narben zu tief waren; ja, er konnte sich glücklich preisen, daß er bei dem Unfall nicht auch noch blind geworden war. Die Entstellungen waren jedoch nur bei erster Bekanntschaft erschreckend. Jeder, der den jungen Mann das erstemal sah, reagierte zuerst mit Entsetzen; dann folgte das Mitleid. Aber wenn man Adam dann in seiner Sanftheit und Sensibilität näher kennenlernte, vergaß man die Narben und sah nur noch den liebenswürdigen und einfühlsamen jungen Mann.
    Ein bemerkenswertes Paar, meine beiden Kinder, dachte Samantha glücklich.
    Jenny, neunzehn jetzt, hatte sich zu einer jungen Frau von zarter dunkler Schönheit entwickelt, gertenschlank, mit rabenschwarzem Haar und großen dunklen Augen. Sie hatte eine Art, einen anzusehen, einem ›zuzuhören‹, wenn man sprach, die den Eindruck vermittelte, daß sie weit mehr aufnahm als bloße Worte; es war, als wäre sie auf feinere Töne eingestimmt. Neben Adam war ihre Schönheit noch auffallender; wenn die beiden in der Stadt waren, auf einem Spaziergang oder mit dem Wagen unterwegs, drehten die Leute auf der Straße die Köpfe nach ihnen. Sich in ihrer eigenen Welt bewegend und sich in ihrer eigenen Sprache verständigend, waren Adam und Jennifer ein höchst ungewöhnliches Paar.
    Samantha setzte sich auf eine Bank mitten in den Blumen und dachte an Mark. Er war immer bei ihr, hatte sie nie verlassen,
     war jetzt der einzige {348} Mann in ihrem Leben. Seit Samantha an jenem Abend Warren Dunwich fortgeschickt hatte, hatte sie sich für sich entschieden: Sie würde niemals heiraten, denn Mark würde immer ihr Mann sein. Sie brauchte keine eigenen Kinder, sie hatte ja neben Jenny und Adam die vielen Kinder im Krankenhaus, wenn auch immer nur vorübergehend. So behutsam wie möglich hatte sie Stanton Weatherby zu verstehen gegeben, daß eine Heirat mit ihm für sie nicht in Frage kam, und etwas weniger behutsam hatte sie Hilarys fortdauernden Bemühungen, sie unter die Haube zu bringen, ein Ende gesetzt.
    Als Samantha eine

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