Sturmjahre
Sessel, deren Samtbezüge schon reichlich abgewetzt waren. Der hohe Bücherschrank an der Wand war bis auf das letzte Eckchen gefüllt, auf dem Sekretär stapelten sich Papiere und Fachzeitschriften. Es war ein gemütlicher Raum, der von der Persönlichkeit seines Besitzers geprägt war. Nur Fotografien gab es nirgends, und das fand Samantha merkwürdig.
»Was kann ich für Sie tun, Miss Hargrave?«
Sie fuhr herum. Joshua Masefield trat durch die Verbindungstür zum Sprechzimmer.
»Ich wollte Ihnen das hier zurückbringen.« Sie hielt ihm die Schachtel mit den Handschuhen hin.
»Ich kann die Handschuhe nicht annehmen«, erklärte sie hastig. »Ich kenne Sie ja kaum.«
Sein Gesicht blieb unbewegt.
»Bitte nehmen Sie sie zurück.« Sie sah sich um und legte die Schachtel auf den Sekretär. »Es tut mir leid, daß ich Sie stören mußte. Auf Wiedersehen, Sir.« Sie wandte sich zum Gehen.
»Miss Hargrave!«
Samantha blieb stehen und drehte sich um.
»Die Handschuhe waren als Bezahlung für Ihre Hilfe gedacht. Als ich unseren jungen Radfahrer im Krankenhaus besuchte, gab mir sein Vater einen Scheck für unsere Bemühungen. Da ich wußte, daß Sie dringend ein Paar Handschuhe brauchen, nahm ich mir die Freiheit, sie Ihnen gleich zu kaufen, anstatt das Geld zu schicken. Wenn Sie Ärztin werden wollen, Miss Hargrave, müssen Sie lernen, auch Naturalien als Bezahlung anzunehmen. Ihre Patienten werden nicht immer das nötige Bargeld haben.«
Sie war verlegen. »Ach, und ich dachte –«
»Ich weiß, was Sie dachten, Miss Hargrave. Also.« Er nahm die Schachtel und hielt sie ihr hin. »Nehmen Sie sie. »Stecken Sie sie, wenn Sie wollen, zur Erinnerung an Ihr erstes Arzthonorar in einen Rahmen.«
Samantha nahm die Schachtel und brachte mit einiger Mühe ein Lächeln zustande. »Ich habe mich wohl sehr töricht benommen.«
»Sagen Sie, Miss Hargrave, haben Sie inzwischen eine Stelle gefunden?«
»Nein. Mir wird wohl nichts anderes übrigbleiben, als mich nach einer anderen Arbeit umzusehen, bis ich am Infirmary anfangen kann.«
»Ich habe über unser Gespräch von neulich nachgedacht, Miss Hargrave.
Der junge Mann, den ich angestellt habe, hat vor, an der Cornell Universität zu studieren. Er kommt aus einer wohlhabenden Familie und hat {113} ausgezeichnete Referenzen. Er wird keine Mühe haben, eine Praktikantenstelle in Manhattan zu finden. Darum habe ich mir überlegt, daß ich an seiner Stelle lieber Sie nehmen sollte. Sie brauchen die Stelle weit nötiger als er; Sie haben mir Ihre Fähigkeiten bereits bewiesen, und Ihre Freundschaft mit den Damen Blackwell ist eine gute Referenz. Außerdem habe ich mir überlegt, daß eine Frau in der Praxis bei der Behandlung weiblicher Patienten, die mir gegenüber häufig große Hemmungen haben, eine wertvolle Hilfe wäre. Nun, was meinen Sie, Miss Hargrave?«
Sie starrte ihn nur ungläubig an.
»Hinter meinem Entschluß stehen allerdings auch persönliche Motive, über die Sie unterrichtet sein müssen, ehe Sie sich entscheiden, Miss Hargrave.«
Samantha wartete auf eine nähere Erklärung.
»Ich erhoffe mir Ihre Hilfe in einer privaten Angelegenheit, Miss Hargrave«, fuhr Joshua fort. »Es handelt sich – äh –« Er wich ihrem Blick aus – »um meine Frau.« Er schwieg einen Moment, und als Samantha nichts sagte, fuhr er fort: »Meine Frau ist leidend. Sie braucht – nicht immer, aber doch von Zeit zu Zeit – sachkundige Betreuung. Mrs. Wiggen ist dieser Aufgabe nicht recht gewachsen. Ich hatte daran gedacht, ein Pflegerin anzustellen, aber sie wäre nicht ausgelastet. Meine Frau braucht, wie ich schon sagte, nur ab und zu Betreuung.«
Erst jetzt sah er sie wieder an. »Die meiste Zeit kann meine Frau durchaus für sich selbst sorgen. Aber sie hat – Rückfälle. Und in solchen Zeiten könnte ich Ihre Hilfe gebrauchen. Glauben Sie mir, Miss Hargrave, daß das Ausnahmefälle wären. Normalerweise würden Sie mit mir in der Praxis arbeiten.«
Samantha fühlte sich erschüttert. Er hatte mit solcher Anstrengung und soviel offenkundiger Überwindung gesprochen, als hätte er ihr ein schweres Geständnis abgelegt.
»Sie werden Bedenkzeit haben wollen –«
»Ich brauche keine Bedenkzeit, Dr. Masefield«, sagte Samantha rasch. »Ich nehme Ihren Vorschlag mit Dank an.«
5
Noch am selben Nachmittag zog sie um. Louisa half ihr. Sie bekam ein Zimmer in der zweiten Etage, neben dem von Mrs. Wiggen, mit der sie das neu installierte Bad teilte. So glücklich
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