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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Frau, die fünfzig Cents in der Tasche hat, kann sich eine Flasche trügerischer Hoffnung kaufen.«
    Joshua Masefield sprach soviel Deutsch und Italienisch, daß er den Einwanderern, die zu ihm kamen, die grundlegenden Fragen stellen konnte. Häufig wurde Filomena zum Dolmetschen beigezogen, ab und zu konnte Samantha mit ihrem Französisch aushelfen.
    {116} Samantha sah ihn als einen Menschen mit zwei Gesichtern: Allein mit ihr und Mrs. Wiggen zeigte sich Joshua steif und förmlich, legte niemals die Maske ab. Seinen Patienten zeigte er sich weich und anteilnehmend, ein zuverlässiger Freund und Vertrauter. Es wunderte Samantha, daß ein so hervorragender Arzt wie er, fähig und vertrauenerweckend, es nicht weiter gebracht hatte als zu dieser Arme-Leute-Praxis. Und es wunderte sie ebensosehr, daß er völlig zurückgezogen lebte. Jeden Abend saß er in seinem Arbeitszimmer – wenn er nicht Hausbesuche machte –, niemals kam Besuch, ein gesellschaftliches Leben schien für ihn nicht zu existieren.
    Vielleicht hatte dieses selbstgewählte Einsiedlerdasein etwas mit der leidenden Mrs. Masefield zu tun, die Samantha bisher nicht zu Gesicht bekommen hatte.
     
    Es war ein warmer Sommertag. Nach dem Mittagessen wollten die beiden Mädchen nach Hoboken hinaus, um das Baseball-Spiel der New York Knickerbockers gegen die Cincinnati Red Stockings anzuschauen. Seit Samantha bei Joshua Masefield arbeitete, trafen sich die beiden jeden Sonntag zu gemeinsamen Unternehmungen, und Samantha hatte inzwischen viel von New York kennengelernt. Sie genoß diese Ausflüge, bei denen es immer viel zu lachen gab, nur Louisas Neugier über die Masefields empfand sie häufig als bedrängend.
    »Du sollst dich um sie kümmern, und er hat dir doch nicht mal gesagt, was überhaupt mit ihr los ist?« Louisas grüne Augen blitzten. »Samantha, wie hältst du das aus?«
    »Er wird es mir schon sagen, wenn er es für richtig hält.«
    »Woher weißt du, daß es überhaupt eine Mrs. Masefield gibt?« bohrte die unverbesserliche Louisa weiter.
    Samantha sah sie entgeistert an. »Wie bitte?«
    Louisa beugte sich über den Tisch und sagte mit gesenkter Stimme: »Na ja, es verstößt doch eigentlich gegen alle gesellschaftlichen Regeln, daß ein junges Mädchen mit ihrem Arbeitgeber unter einem Dach lebt. Stell dir mal vor, was seine Patienten denken würden. Vielleicht hat er deshalb eine Ehefrau erfunden.«
    »Du bist ja verrückt, Louisa! Dr. Masefield ist die Korrektheit in Person. Außerdem ist Mrs. Wiggen im Haus.«
    »Ja, und sie schläft wahrscheinlich wie ein Murmeltier, wenn sie einmal die Augen zugemacht hat.« Louisa lehnte sich zurück und legte den Kopf leicht zur Seite. »Ich habe ihn gesehen, Samantha, und ich bin überzeugt, diese Kälte ist nichts als Maske. Er ist ein Mann wie alle anderen, und er {117} lebt allein. Und gleich im Zimmer nebenan bist du, so hübsch und so jung, wie kann er da widerstehen.«
    »Also hör mal, Louisa, was soll das heißen?«
    »Daß er eines Nachts an deine Zimmertür klopfen wird. Wart’s nur ab.«

6
    Genau das tat er sechs Tage später. Samantha saß gerade über einem Brief an Elizabeth Blackwell. Trotz der späten Stunde, es war fast Mitternacht, trug er seinen dunklen Gehrock, als hätte er vor, noch auszugehen. Sein Gesicht wirkte angespannt.
    »Miss Hargrave, würden Sie bitte mitkommen.«
    Sie legte sich ein Tuch um die Schultern, nahm eine Lampe und folgte ihm die Treppe hinunter. Vor einer Tür blieb er stehen. Seine Züge wirkten streng im dämmrigen Lichtschein.
    »Ich muß noch einmal weg, und meine Frau braucht eine Nachtwache. An sich hat Mrs. Wiggen das immer übernommen, aber sie nickt leicht einmal ein. Ich denke, ich kann mich darauf verlassen, daß Sie wach bleiben werden.«
    Auf die Pracht auf der anderen Seite der Tür war Samantha nicht vorbereitet. Mrs. Masefields Schlafzimmer war von einer Eleganz, als befände es sich in einem der hochherrschaftlichen Häuser in der Fifth Avenue. Hier schimmerten Marmor und glänzendes Ebenholz im Licht geschliffener Kristalleuchter. Auf kostbaren Teppichen standen edle Louis-Quatorze-Sessel und zierliche Tische. Sommerblumen in hohen Wedgwood Vasen gaben dem Zimmer Farbe und Heiterkeit.
    Samanthas Blick wanderte zum Bett, wo Joshua Masefield sich zu seiner Frau hinunterneigte, ein breites Himmelbett mit gerafften Vorhängen aus topasfarbener Seide.
    »Miss Hargrave!«
    Mit der Lampe in der Hand trat Samantha ans Bett.
    Estelle Masefield war

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