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Sturmjahre

Sturmjahre

Titel: Sturmjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Jones? Das verstehe ich nicht. Das sind doch alles meine Kommilitonen. Wir müssen zusammen lernen, miteinander sprechen –«
    »Miss Hargrave!« Dr. Jones lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Wir müssen den guten Ruf des Colleges schützen. Jeglicher Verkehr mit den Studenten oder einem Mitglied der Lehrerschaft außerhalb der Unterrichtsräume ist Grund zur sofortigen Entlassung. Ferner«, fuhr er fort, »werden Sie an einigen Seminaren nicht teilnehmen. Das sind solche, die dem natürlichen Feingefühl der Frau zuwider sind. Genau gesagt, jegliche Diskussion über die Fortpflanzungsorgane und ihre Krankheiten.«
    »Das kann nicht Ihr Ernst sein, Sir.«
    »Sie werden außerdem keinen Zutritt zum Sektionslabor haben.«
    »Aber Dr. Jones«, rief sie erregt, »wie soll ich denn gründliche Kenntnisse in der Anatomie –«
    {148} »Ferner ist Ihnen nicht gestattet, männliche Patienten zu untersuchen.«
    Sie war wie vor den Kopf geschlagen.
    »Und jetzt, Miss Hargrave –« Jones stand auf – »muß ich dieses Gespräch leider beenden.«

14
    Als im November der Tag der ersten Laborsitzung kam, hatte Samantha ihren Entschluß gefaßt. Sie würde es auf eine Kraftprobe ankommen lassen. Sie hoffte, wenn sie an der ersten Sitzung trotz des Verbots teilnahm und sich als ernsthafte Studentin erwies, die so leicht nichts erschüttern konnte, würde Dr. Jones sein Verbot aufheben. Um allen Anfällen weiblicher Schwäche, auf die man nur warten würde, vorzubeugen, hatte sie sich strengen Exerzitien unterworfen.
    Elisabeth Blackwell hatte ihr mit einer ihrer Erzählungen aus ihrer eigenen Studienzeit die Idee dazu geliefert. »Dauernd«, hatte sie berichtet, »beobachteten sie mich, um mich beim kleinsten Ausrutscher kritisieren zu können. Ich wußte genau, daß ich beim Sezieren genauso gut war wie jeder Mann, aber ich wußte auch, daß man mir jedes Erröten als Schwäche auslegen würde. Deshalb beschloß ich, in den Wochen vor Sektionsbeginn alles mir mögliche zu tun, um über diesen verräterischen Reflex die Kontrolle zu gewinnen. Jeden Abend stellte ich mich vor den Spiegel und stellte mir die schockierendsten und peinlichsten Situationen vor, die man sich nur denken kann, und wenn ich dann errötete, versuchte ich, es mit Willenskraft zu unterdrücken. Ich hungerte, aß kein Fleisch mehr, trank keinen Wein, nahm keine Medikamente, selbst wenn ich starke Kopfschmerzen oder Krämpfe hatte, denn diese Substanzen erweitern die Blutgefäße im Gesicht und machen einen rötlichen Teint. Außerdem puderte ich jeden Morgen mein Gesicht mit weißem Talkum. Die große Prüfung kam, als wir die männlichen Geschlechtsorgane durchnahmen. Während der Dozent sprach und mit seinem Zeigstab auf die einzelnen Organe hinwies, konzentrierte ich mich die ganze Zeit so fest darauf, nicht zu erröten, daß ich hinterher merkte, daß ich von dem Vortrag nicht ein einziges Wort mitbekommen hatte.«
    Drei Wochen lang bereitete sich Samantha vor: sie hungerte, versagte sich auch das kleinste Gläschen Wein, nahm kein Medikament, übte jeden Abend vor ihrem Spiegel. Als der entscheidende Tag gekommen war, puderte sie ihr Gesicht leicht mit weißem Talkum, ehe sie aus dem Haus ging.
    {149} Doch es war alles umsonst. Als sie um zehn Uhr vor dem Labor im zweiten Stock ankam, war die Tür verschlossen, und alle Studenten standen im Korridor. Dr. Monks, der Anatomieprofessor, war nicht bereit, im Beisein einer Frau zu unterrichten.
    Am nächsten Tag war es das gleiche. Die Tür war abgesperrt, die Studenten mußten unverrichteter Dinge wieder abziehen.
    Sie wandte sich an Jones. »Sie können doch nicht die Absicht haben, das durchzuhalten, Sir. Lassen Sie wenigstens die anderen hinein, wenn schon mich nicht.«
    »Miss Hargrave, das ist Sache von Mr. Monks. Er weiß, daß Sie die Absicht haben, an der Sitzung teilzunehmen. Das verletzt sein Gefühl für Anstand und Sitte so sehr, daß er es vorzieht, gar keinen Unterricht zu halten.«
    »Die anderen müssen meinetwegen leiden«, sagte sie am Abend zu Hannah. »Sie werden es mir übelnehmen. Es ist zum Wahnsinnigwerden. Ganz gleich, wie ich mich verhalte, es ist immer falsch. Wenn ich nicht nachgebe, bleibt das Labor verschlossen, und die anderen Studenten werden bald so wütend auf mich sein, daß sie mich nur noch loshaben wollen. Und wenn ich nachgebe, lerne ich nichts. Eine Ärztin ohne Anatomiekenntnisse!«
    Hannah, die über ihren Stickrahmen gebeugt saß und gelassen die

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