Sturmkaempfer
Steinwand. Als er das tat, bildete er sich ein, ein Zittern des Alters ginge von dem Stein auf ihn über. Aber er wusste, dass da nichts war. Er fuhr mit der Hand über die abgenutzten Stufen und blickte zu den Bannern auf, während er sich fragte, wann seine Zeit käme. Weißaugen konnten älter als fünfhundert Jahre werden, und auch wenn Bahl sich wie ein alter Mann fühlte, hatte er noch mehrere Lebensspannen vor sich. Es fiel ihm schwer, sich darauf zu freuen.
In der großen Halle zischte und prasselte das Kochfeuer, weil ein Reh langsam über den Flammen geröstet wurde. Der Geruch lag deutlich in der Luft. Als Bahl eintrat, wurde der Lärm kurz leiser, doch er beachtete die ihm zugewandten Gesichter gar nicht und ging zum Feuer. Eine Magd zog ein schüsselförmiges Fladenbrot aus dem Kessel hinter sich und schaufelte tropfende Reh- und Gemüsestücke für ihn hinein.
»Ihr brecht nun auf?«
Bahl drehte sich zu Lesarl um und nickte, während er sich einen Fleischbrocken in den Mund schob.
»Tiniq ebenfalls«, fuhr Lesarl fort. »Er hat gerade eine Nachricht vom Obersten Waldläufer empfangen, der sofort aufbricht, und zwar zu Fuß, wie immer. Er behauptet, er reite nicht gern.«
»Um diese Zeit? Dann wurde die Nachricht auf dem Weg zu ihm wohl aufgehalten?«
»Ich habe den Waldläufer vielleicht etwas länger in meinem Arbeitszimmer warten lassen, als es nötig gewesen wäre.« Lesarl lächelte. Er wusste, dass Tiniq das Interesse seines Lords erregt hatte.
»Danke. Wo ist er?«
»Den Rucksack unter dem Tisch versteckt, versucht er ein wenig hinter Euch – bei der Tür – unauffällig zu erscheinen.«
Bahl nickte dankend und bedeutete Lesarl, sich seiner Mahlzeit
wieder zuzuwenden, dann drehte er sich um und suchte Tiniq, der zusammengesunken dasaß und in einen leeren Becher starrte. Der Waldläufer kam selten in den Palast. In diesen Tagen war er sogar noch seltener hier. Die verstrichenen Jahre zeigten sich nicht in seinen Zügen. Tiniq Lahk widersetzte sich allen Konventionen. Er war General Lahks jüngerer Zwillingsbruder, ein gewöhnlicher Mann, kein Weißauge, und hätte im Bauch seiner Mutter sterben sollen, wie es die Zwillinge von Weißaugen stets taten. So wie die Größe eines Weißauges die Mutter bei der Geburt tötete, wurde das Leben eine Zwillings in den Wochen davor aus ihm herausgepresst. Aber irgendwie hatte sich Tiniq am Leben festgeklammert und obwohl er ein kränkliches Kind gewesen war, war er zu einem starken jungen Mann herangewachsen. Er hatte eine einsame Kindheit gehabt, wurde von einem Förster aufgezogen und wuchs mit einem gesunden Misstrauen Fremden gegenüber auf. Er schien viele Eigenschaften der Weißaugen angenommen zu haben, und ohne Zweifel war er ein wenig von Magie beseelt, aber wie wenig genau, das behielt er für sich. Es war ein Geheimnis, auf dessen Auflösung Bahl noch wartete.
Tiniq unterbrach seine Gedanken, als er ihn bemerkte. »Mein Lord?«, fragte er und stand auf, um sich kurz vor Bahl zu verneigen.
»Ich breche nun zur Ked-Straße auf. Ich nehme an, dass es für dich kein allzu großer Umweg wäre, mich ein Stück zu begleiten.«
Der Tonfall Bahls ließ keinen Platz für Widerworte, und trotzdem versuchte es Tiniq. »Eigentlich, mein Lord, heißt mein Ziel Siul.«
»Ein paar Stunden werden keinen Unterschied machen, denke ich. Nimm deinen Packen.«
Tiniq unterdrückte ein Seufzen und griff unter die Bank, holte
einen formlosen Leinensack und einen Waffenbeutel aus Öltuch hervor, um Bahl dann nach draußen zu folgen.
Er blickte zu Boden, bis Bahl plötzlich stehen blieb und sagte: »Es gibt Geschichten über den Saljin-Mann im tiefen Wald. Hast du ihn gesehen?«
Der Waldläufer verzog das Gesicht. »Das sind doch nur alberne Bauernmärchen. Wir haben genug in unseren Wäldern, da brauchen wir uns nicht noch die Flüche anderer Stämme auszuleihen.«
»Ich denke, es ist seltsam, so etwas zu erfinden, wo doch jeder weiß, dass die Vukotic ebenso sehr ihren Flüchen verhaftet sind wie ihren Ländereien. Ich habe schon einmal davon gehört, als vor fast einem Jahrhundert ein Vampir in der Stadt war. Jetzt vermuten wir hier erneut einen. Ist das Zufall?«
Den Waldläufer machte diese Möglichkeit nervös und er versuchte sein Unwohlsein damit zu überspielen, dass er sein Wehrgehänge an der Schulter richtete. »Ich verstehe. Ich werde aufpassen.«
»Gut. Jetzt sollten wir aufbrechen. Du musst mit deinem Bruder gelaufen sein, also erwarte
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