Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
nahe an Vivenna herankam. Sie hätte diese Vorsichtsmaßnahme für unnötig gehalten, wenn sie nicht gerade beobachtet hätte, wie Denth zwei Männer innerhalb eines Augenblicks getötet hatte. Die Gefahr, von der er immer redete, kam ihr allmählich zu Bewusstsein. Wenn dieser Mann eine verborgene Waffe und ein wenig Geschick besaß, konnte er sie töten, bevor sie wusste, wie ihr geschah.
Das war eine bedrückende Erkenntnis.
» Prinzessin«, sagte der Mann und fiel auf die Knie. » Ich bin Euer Diener.«
» Bitte«, erwiderte sie, » stell mich nicht über die anderen.«
» Oh«, meinte der Mann und schaute auf. » Es tut mir leid. Es ist so lange her, seit ich Idris verlassen habe. Aber Ihr seid es wirklich!«
» Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
» Von den Idriern in T’Telir«, antwortete der Mann. » Sie sagen, Ihr seid hergekommen, um den Thron zurückzuholen. Wir werden schon so lange unterdrückt, dass ich geglaubt habe, die Leute hätten es erfunden. Aber es ist wahr! Ihr seid hier!«
Denth sah zuerst zu ihr und dann zu Grabels Speiselokal zurück, dessen Tür hinter ihnen noch immer geschlossen war. Er nickte Tonk Fah zu. » Schnapp ihn dir, durchsuche ihn, und dann reden wir anderswo weiter.«
Das » Anderswo« stellte sich als ein heruntergekommenes Haus in einem etwa fünfzehn Minuten von dem Lokal entfernten ärmlichen Stadtteil heraus.
Vivenna fand die Armenviertel von T’Telir sehr interessant– zumindest in theoretischer Hinsicht. Selbst hier gab es Farben. Die Menschen trugen verblasste Kleidung, aber helle Stoffbahnen hingen aus den Fenstern, lagen auf vorspringenden Giebeln und sogar in den Pfützen auf der Straße. Es waren gedämpfte oder schmutzige Farben. Wie ein Zirkus, der von einer Schlammlawine getroffen worden war.
Vivenna stand zusammen mit Juwelchen, Parlin und dem Idrier vor der Hütte, während Denth und Tonk Fah nachsahen, ob sich niemand in dem Gebäude versteckte oder es andere Bedrohungen bereithielt. Sie schlang die Arme um sich und verspürte ein seltsames Gefühl der Verzweiflung. Die verblassten Farben in der Gasse wirkten irgendwie falsch auf sie. Sie waren tote Dinge. Wie ein wunderschöner Vogel, der reglos zu Boden gefallen war und dessen Gestalt noch vollkommen, aber ohne jede Magie war.
Verlaufenes Rot, fleckiges Gelb, gebrochenes Grün. In T’Telir waren sogar die einfachsten Dinge eingefärbt. Wie viel Geld gaben die Einwohner wohl für Farbe und Tinte aus? Wenn es nicht die Tränen von Edgli gäbe, jene strahlenden Blumen, die nur im Klima T’Telirs gediehen, wäre das alles unmöglich. Hallandren hatte aus dem Anbau, der Ernte und der Herstellung von Farben eine ganze Industrie gemacht.
Vivenna rümpfte die Nase über den Abfallgestank. Alle Gerüche waren hier stärker, genau wie die Farben. Es war nicht so, dass sich ihr Geruchssinn verbessert hätte. Die Dinge, die sie roch, waren einfach kräftiger. Sie zitterte. Es war schon einige Wochen her, seit sie den Hauch erhalten hatte, doch sie fühlte sich noch immer nicht normal. Sie spürte das Gebrodel der Menschen in der Stadt, spürte Parlin neben ihr, der die angrenzenden Gassen argwöhnisch beobachtete. Sie spürte Denth und Tonk Fah im Innern des Hauses– einer von ihnen schien das Erdgeschoss zu untersuchen.
Aber…
Sie erstarrte.
Juwelchen spürte sie nicht. Sie warf einen Blick zur Seite. Dort stand die kleine Frau, hatte die Hände in die Hüften gestemmt und murmelte etwas davon, » mit den Kindern allein gelassen« worden zu sein. Ihre leblose Abscheulichkeit wartete neben ihr; Vivenna hatte nicht erwartet, sie zu spüren. Aber warum war ihr Juwelchen entgangen? Vivenna fühlte einen kurzen Augenblick intensiver Panik, als sie glaubte, Juwelchen könnte irgendeine leblose Schöpfung sein. Doch dann erkannte sie, dass es eine einfachere Erklärung gab.
Juwelchen hatte keinen Hauch in sich. Sie war eine Farblose.
Jetzt, wo Vivenna wusste, was sie suchte, war es offensichtlich. Selbst ohne ihren Reichtum an Hauch hätte sie es erkennen müssen. In Juwelchens Augen lag ein nur sehr schwaches Glitzern. Sie wirkte griesgrämig und unfreundlich. Sie schien die anderen nervös zu machen.
Außerdem bemerkte Juwelchen nie, wenn Vivenna sie beobachtete. Welcher Sinn auch immer dazu führen mochte, dass sich die Menschen umdrehten, wenn sie zu lange angeschaut wurden– Juwelchen besaß ihn nicht. Vivenna wandte sich von ihr ab und spürte, wie sie errötete. Eine Person ohne Hauch zu
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