Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
abgeschieden, aber oft voller jüngerer Straßenkinder. Ihre Gesellschaft mochte Vivenna, auch wenn sie wusste, dass sie von ihnen nachts auf Münzen durchsucht wurde.
Ich kann einfach nicht glauben, wie müde ich bin …, dachte sie. Ihr war schwindlig, und sie stützte sich mit der Hand an der Mauer ab. Dann machte sie ein paar tiefe Atemzüge. In der letzten Zeit war sie oft benommen.
Sie ging weiter. Die Gasse war nun leer; alle anderen waren noch draußen und versuchten an diesem Abend ein paar Extramünzen zu machen. Sie suchte sich einen der besten Plätze aus– einen Erdhügel, auf dem sogar kleine Grasbüschel wuchsen, allerdings war das Gras feucht vom Nieselregen. Doch das war ihr egal.
Schatten verdunkelten die Gasse hinter ihr.
Sie reagierte sofort und rannte los. Das Leben auf der Straße erteilte schnelle Lektionen. Obwohl sie so schwach war, verlieh die Panik ihr ungeahnte Kräfte. Dann betrat ein weiterer Schatten die Gasse vor ihr. Sie erstarrte, drehte sich um und sah, wie hinter ihr die Schläger auf sie zukamen.
Dahinter erkannte sie den Mann, der sie vor einigen Wochen ausgeraubt und ihr auch das Kleid abgenommen hatte. » Tut mir leid, Prinzessin«, sagte er. » Die Belohnung ist einfach zu hoch. Es hat verdammt lange gedauert, bis ich Euch gefunden habe. Ihr habt euch gut versteckt.«
Vivenna blinzelte. Dann sackte sie einfach zu Boden.
Ich kann nicht mehr, dachte sie und schlang die Arme um sich. Sie war erschöpft. Geistig, gefühlsmäßig, vollständig. In gewisser Weise war sie froh, dass es nun vorbei war. Sie wusste nicht, was diese Männer mit ihr machen würden, aber sie wusste, dass es zu Ende war. An wen sie auch immer verkauft werden mochte, er würde sie nie wieder entkommen lassen.
Die Schläger drängten sich um sie herum. Sie hörte, wie jemand erwähnte, man solle sie zu Denth bringen. Grobe Hände packten ihren Arm und rissen sie auf die Beine. Sie folgte den Männern mit gesenktem Kopf. Sie führten Vivenna hinaus Richtung Hauptstraße. Es wurde allmählich dunkel, aber keine Straßenkinder oder Bettler kamen in die Gasse.
Ich hätte es erkennen müssen, dachte sie. Sie war zu verlassen.
Sie hatte keine Kraft mehr, an Flucht zu denken– nicht noch einmal. Ein Teil von ihr begriff, dass ihre Lehrer Recht gehabt hatten. Wenn man schwach und hungrig war, war es kaum mehr möglich, sich noch um irgendetwas zu kümmern.
Es fiel ihr schwer, sich an ihre Lehrer zu erinnern. Es fiel ihr schwer, sich daran zu erinnern, wie es gewesen war, nicht hungrig zu sein.
Die Schläger gingen weiter. Vivenna schaute auf und blinzelte ihre Benommenheit fort. Da war etwas auf der dunklen, nassen Straße vor ihnen. Ein schwarzes Schwert. Die Waffe war zusammen mit ihrer silbernen Scheide in den Schmutz gerammt.
Es wurde still auf der Straße. Einer der Schläger machte einen Schritt nach vorn, hob das Schwert auf und löste die Sicherung. Vivenna verspürte eine plötzliche Übelkeit– eher eine Erinnerung als ein wirkliches, gegenwärtiges Gefühl. Entsetzt taumelte sie zurück.
Die anderen Schläger sammelten sich gebannt um ihren Freund. Einer von ihnen langte nach dem Griff.
Der Mann, der das Schwert in den Händen hielt, schlug zu. Er schwang die Waffe mitsamt der Scheide in das Gesicht seines Freundes. Schwarzer Rauch kräuselte sich über dem Schwert; er stieg von dem winzigen Silberstreifen der Klinge auf, der sichtbar geworden war.
Die Männer schrien auf; jeder griff nach dem Schwert. Der Mann, der es hielt, schwang es weiter, und es traf mit weitaus größerer Gewalt, als es eigentlich hätte möglich sein sollen. Knochen splitterten, Blut spritzte auf die Pflastersteine. Der Mann fuhr mit seinem Angriff fort und bewegte sich mit schrecklicher Schnelligkeit. Vivenna taumelte weiter zurück und warf dabei einen Blick auf seine Augen.
Entsetzen lag in ihnen.
Er tötete seinen letzten Freund– denjenigen, der sie ausgeraubt hatte, damals, es schien schon so lange her zu sein–, indem er ihm das noch immer in der Scheide steckende Schwert in den Rücken rammte. Knochen brachen. Die Kleidung am Arm des Schwertschwingers hatte sich inzwischen aufgelöst, und eine Schwärze, die an Weinranken erinnerte, wand sich bis hoch zu seiner Schulter. Es waren schwarze, pulsierende Venen, die aus der Haut hervortraten. Der Mann stieß einen durchdringenden Schrei der Verzweiflung aus.
Dann drehte er das Schwert herum und rammte es in seine eigene Brust. Es durchstach Haut und
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