Sturmkönige 01 - Dschinnland
in den Vierteln an der Stadtmauer, wo die Tavernen und Freudenhäuser auch nach Mitternacht überfüllt waren.
Für eine Weile sah es aus, als könnte Tarik die beiden Teppichreiter einholen. Der eine schwankte kaum merklich auf und ab. Wahrscheinlich machte ihm die Schulterwunde zu schaffen. Er flog schnell, aber ungenau. Eine scharfe Wegkehre, ein unerwartetes Hindernis, und das Rennen wäre für ihn beendet. Größere Sorge bereitete Tarik der andere. Vielleicht galt es sich allmählich damit abzufinden, dass einige von den Jüngeren ebenso gut wurden wie er. Besser, womöglich.
Er biss die Zähne zusammen. Zählte seinen Herzschlag, um sich zu konzentrieren. Den des Mädchens spürte er fast so heftig wie seinen eigenen, so eng presste sie sich an seinen Rücken.
»Da kommen noch mehr.«
Er schaute nicht zurück. »Wie viele?«
»Drei.«
Er zögerte nicht länger. »Tut mir leid.« Seine Finger manipulierten das Muster, damit sich der hintere Teil des Teppichs aufbäumte. Das sollte hoffentlich genügen, um sie abzuwerfen.
Aber das Muster gehorchte nicht. Etwas hielt dagegen.
Jemand.
»Du Biest!«
Sabatea hatte ihre eigene Hand tief ins Muster gestoßen und kämpfte gegen seine Befehle an.
»Du kannst einen Teppich fliegen?«, entfuhr es ihm.
»Wie gesagt: Wir haben viele Talente.«
Er rammte seinen Ellbogen nach hinten, aber sie wich dem Stoß mit schlängelnder Leichtigkeit aus, während sie sich mit dem freien Arm noch heftiger an ihn klammerte.
Einer der drei Teppichreiter überholte sie. Der junge Mann blickte über die Schulter und verzog die Mundwinkel.
Das Grinsen verging ihm, als er wieder nach vorn sah – und eine Balustrade entdeckte, die ihn mit einem mörderischen Aufprall vom Teppich fegte und kopfüber in die Tiefe schleuderte.
Sabatea stieß ein helles Lachen aus. »Gern geschehen«, rief sie Tarik zu.
»Was?«
»Glaubst du vielleicht, er hat sich nach dir umgesehen?«
»Zieh deine Hand aus dem Muster!«
»Damit du mich abwirfst?«
»Damit ich uns heil durchs Ziel bringe.«
»Wenn du lügst«, sagte sie, »erkenne ich das, ohne dir in die Augen zu sehen.«
»Viel Erfahrung mit Lügnern?«
Sie zuckte nur die Achseln. Ihre Hand blieb im Muster, nahm aber keinen Einfluss mehr darauf, solange er nicht versuchte, sie zu überlisten. »Es heißt, in Bagdad können die meisten Menschen mit fliegenden Teppichen umgehen.«
»Mehr als in Samarkand jedenfalls.«
»Du bist in Bagdad gewesen.« Das war keine Frage.
»Wie kommst du darauf? «
»Ich weiß, wer du bist. Der geteilte Kreis. Davon hört man auch im Palast.«
Das war keine Überraschung, und trotzdem gefiel es ihm nicht. »Warum hast du dann nach meinem Namen gefragt?«
»Um zu hören, wie es klingt, wenn du die Wahrheit sagst. Dann erkenne ich leichter, wann du lügst.«
Die beiden Teppichreiter hinter ihm holten nicht weiter auf, aber das lag allein an der Strecke, die nun um Ecken und scharfe Kurven führte. Tarik kannte den Verlauf in- und auswendig, er nahm die Biegungen schneller als seine unerfahrenen Verfolger. Doch sobald sie wieder auf eine längere Gerade kämen, spätestens am Basar der Stoffhändler, würde sein Vorsprung abermals schrumpfen. Außerdem waren da noch immer die beiden anderen, die ihn an der Mauer überholt hatten. Den einen sah er nach jeder Biegung vor sich auftauchen, aber der zweite war verschwunden. Er hatte ihn auch nirgends am Boden gesehen. Es stand zu befürchten, dass er sich mit einigem Abstand an die Spitze gesetzt hatte.
»Wie ist es draußen im Dschinnland?«
»Gefährlich.«
»Es hat seit Monaten keine Angriffe auf die Wälle mehr gegeben, heißt es.« Sie klang plötzlich nachdenklich, trotz des rasanten Fluges. »Vielleicht sind die Dschinne wieder dorthin verschwunden, woher sie gekommen sind.«
»Nur weil mich ein Jahr lang keine Biene sticht, bedeutet das nicht, dass sie ausgestorben sind.«
»Dein letzter Ritt nach Bagdad ist lange her.«
Lehmfassaden, Fensterläden und immer wieder flatternde Markisen wischten an ihnen vorüber. Sabatea legte sich mit in die Kurven. Selbst wenn sie nur knapp ein Hindernis verfehlten, ließ sie keinen Laut der Furcht oder Überraschung hören. Vielleicht redete sie so viel, um sich abzulenken.
Aber etwas sagte ihm, dass er es sich zu einfach mit ihr machte. Sie mochte aussehen wie ein hübsch zurechtgemachtes Spielzeug des Emirs; dabei hätte er es schon beim ersten Blick in ihre weißen Augen besser wissen müssen. Sie war
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