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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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palmblattgedeckten Scheunen und Tierpferchen; andere waren ärmliche Ansammlungen von Hütten, Zelten, aber auch Bauten aus Lehmziegeln, grob gemauert und nicht so strahlend weiß gekalkt wie die Häuser innerhalb der Stadtmauern. Ein Netz weitläufiger Wasserkanäle reichte vom schlammbraunen Band des Tigris nach Westen, fächerte sich rund um die Stadt auf und versorgte Felder und Äcker. Einzelne Wasserarme zogen sich auf die runden Wälle zu und wurden im Labyrinth der inneren Viertel unsichtbar; sie waren überbaut und vom Moloch Bagdad verschlungen worden.
    Tarik entdeckte zahlreiche Patrouillen der Falkengarde über den Ausläufern der Stadt und noch mehr über ihrem Zentrum. Viele kehrten auf ihren langen, schmalen Teppichen aus dem Umland nach Bagdad zurück und bildeten hoch über den Mauern einen Verteidigungsring. Er erinnerte sich an das, was der Hauptmann über die Abriegelung der Stadt gesagt hatte, und nun erkannte er, dass die Wehrgänge der Wälle weit dichter mit Soldaten besetzt waren als vor sechs Jahren. So sah eine Stadt aus, die sich auf einen Angriff vorbereitete.
    Sabatea, die während des ganzen Fluges kein Wort gesagt hatte, stieß ihn unvermittelt an und deutete nach Norden. Durch das Gewirr aus Rauchfahnen und fliegenden Teppichen erkannte er dunkle Zusammenballungen in der Wüste, teils diesseits, teils jenseits des Flusses: Garnisonen der persischen Armee. Es war unmöglich, die Zahl der Soldaten zu schätzen. In der Wüstenhitze verblichen sie zu schemenhaften Flecken auf waberndem Gelb.
    Sabatea brach ihr langes Schweigen. »In Samarkand konnte keiner so gut mit einem Teppich umgehen wie du. Fühlt es sich nicht seltsam an, dass es hier alle können?«
    »Sie fliegen nur. Das ist etwas anderes.«
    Sie nickte und verstummte wieder. Er wusste, dass sie ihm seine Fragen nicht beantworten konnte – nicht jetzt, nicht hier, unter dem wachsamen Blick der Falkengarde –, aber es fiel ihm schwer, mit ihr über Nichtigkeiten zu sprechen, wenn sie doch so viel Wichtigeres zu bereden hatten. Er hoffte nur, dass ihnen später noch Gelegenheit dazu bleiben würde – bevor er seine Schuldigkeit getan hatte und man ihn aus dem Palast werfen würde, wo einer wie er nichts verloren hatte.
    Ihre Finger blieben ineinander verschränkt, während sie über die inneren Viertel flogen, über Basare und bevölkerte Gassen, kleine Plätze im Palmenschatten und die weiten Statuenalleen, die aus allen Richtungen zur Ummauerung der Palastgärten führten. Der Hauptmann hob grüßend eine Hand, als sie eine Schneise zwischen den fliegenden Wächtern über den Zinnen passierten. Unter sich sah Tarik jetzt nur noch sattes Grün, ein Paradies inmitten des weißen Stadtrings und der Wüste.
    Bald nahm der Palast sein ganzes Sichtfeld ein.
    Nie zuvor war er ihm so nahe gewesen wie heute. Er kannte ihn aus der Ferne, natürlich; man sah seine Türme und Kuppeln von jedem erhöhten Punkt der Stadt aus, von fast allen Dächern und im Flug auf einem Teppich. Aber erst aus der Nähe wurde ihm die ganze Kunstfertigkeit der Baumeister bewusst. Kein protziges Prunkstück wie das Herrscherschloss von Samarkand, das durch die Vielfalt seiner Formen und schiere Größe beeindrucken wollte. All das hatte auch der Kalifenpalast aufzuweisen, und doch wirkte er auf den ersten Blick weniger verschwenderisch und maßlos. Die Gliederung der Bauten war übersichtlich, die Verteilung der Türme und Erker symmetrisch. Man sah diese Anlage und war sicher, ihre Architektur auf Anhieb zu durchschauen – nur um im Näherkommen festzustellen, dass es mehr Details gab, als das Auge erfassen konnte, mehr Fenster, Terrassen, Balustraden und offene Hallen, deren seidene Vorhänge wie Nebelwände vor munteren Wasserspielen, herrschaftlichen Treppen und atemberaubenden Mosaikwänden wehten.
    Nicht weitflächig wie der Palast zu Samarkand, sondern steil in die Höhe gebaut, bot der Sitz des Kalifen keinen Platz für Laubenhöfe und versteckte Liebeshaine – all das war außen zu finden, in den riesigen Gärten rundum. Das Herz des Reiches bot sich vielmehr als Monument aus Marmor und Sandstein dar, dessen Anblick den Betrachter hätte erschlagen müssen und dennoch eigenartig zart, fast schwebend wirkte. Falls es je einem Baumeister gelungen war, das Gefühl, auf einem fliegenden Teppich zu reiten, in Stein zu hauen, so bei diesem Palast. Wer darin lebte, der schwebte hoch über der Stadt und der Wüste, ja, über dem gesamten Reich der

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