Sturmkönige 01 - Dschinnland
Asche.
Jasminkaskaden
Die Dunkelheit schützte sie, als Tarik den Teppich in einem weiten Bogen über die Stadtmauer lenkte, zurück über die Dächer und Kuppeln im Mondschein.
»Das ändert nichts«, sagte er ruhig. »Du hast nicht geglaubt, dass ich mich umstimmen lasse, oder?« Seine Hand strich über die Stränge des Musters, berührte einzelne Schlingen, verwob sie miteinander. Seine Befehle führten den Teppich auf einen Kurs Richtung Stadtmitte. Von unten konnte man sie in der Finsternis nur durch Zufall entdecken.
Statt einer Antwort sagte sie: »Bagdad muss wunderschön sein.«
»Besser als Samarkand, ja.«
»Warum bist du nicht dortgeblieben?«
»Damals war ich Schmuggler. Geld verdienen konnte ich nur, solange ich immer wieder hierher zurückkam.«
»Sind dir ein paar Dinar denn wirklich wichtiger als deine Freiheit?«
»Ich bin kein Gefangener.«
Ihr Widerspruch kam energischer, als er erwartet hatte. »Aber natürlich bist du das! Wir alle sind Gefangene des Emirs und dieser Stadt. Gefangene der Dschinne. Niemand darf Samarkand verlassen, und wer es dennoch wagt, der kommt dort draußen nicht weit.«
»Und trotzdem willst du es um jeden Preis versuchen?«, fragte er.
»Nur durch die Luft. Ganz sicher nicht am Boden.« Er spürte sie an seinem Rücken tief ein- und ausatmen. Die Verbissenheit, mit der sie auf ihrer aller Eingeschlossensein hinter den Wällen Samarkands beharrte, war ihm auf schmerzliche Weise vertraut. Er hatte dieses Gespräch früher viele Male geführt. Zuletzt hatte er sich davon überzeugen lassen, mit Maryam nach Bagdad zu gehen. Sie waren nicht weit gekommen.
»Ich bringe dich zurück in den Palast.« Die klare Nachtluft gab seiner Stimme eine Schärfe, die er nicht beabsichtigt hatte.
Sie lehnte sich schweigend gegen ihn, beide Arme um seinen Oberkörper gelegt. Ihre Umarmung war nur noch Festhalten, keine Liebkosung. Der Widerspruch, die Bitten und Versprechen, mit denen er gerechnet hatte, blieben aus. Sie griff auch nicht mehr ins Muster.
Er schwieg einen Moment und blickte wachsam in die Tiefe, bevor er begriff. Überrascht schaute er sich um. »Du hattest gar nicht vor, für immer aus dem Palast zu fliehen. Nicht heute Nacht.«
»Was für einen Unterschied macht das? Ich war schon oft dort draußen.«
Er blickte nach unten, auf die Gassen der alten Viertel. In der Finsternis verbarg sich genug Gesindel, das auf eine Beute wie sie nur gewartet hatte.
»Falls das wahr ist, dann frage ich mich, wie du da unten überlebt hast. Hattest du in den anderen Nächten mehr an als heute?« Er meinte diese Frage ganz ernst, und er wunderte sich selbst darüber. Es war nicht seine Art, sich für andere Menschen zu interessieren. Nicht während der letzten sechs Jahre. Auch nicht für jemanden, mit dem er geschlafen hatte.
Sie zögerte kurz. »Manchmal hat man keine Wahl, als die Dinge zu überstürzen.«
Er schwieg, wartete.
»Als die Feuer brannten, musste ich mich schnell entscheiden, ob ich meine Chance nutzen will oder nicht. Ich hatte keine Zeit, irgendwas anderes anzuziehen.«
»Machen das viele von euch? Sich heimlich bei Nacht in der Stadt herumtreiben?«
»Und was hilft dir beim Vergessen?«, entgegnete sie kühl.
Sie schien zu wissen, wann sie verloren hatte. Er würde sich nicht umstimmen lassen, und sie unternahm keinen weiteren Versuch. Aber für Tarik fühlte es sich nicht an wie ein Sieg, nicht einmal wie ein Unentschieden. Er fragte sich, was sie hatte erreichen wollen – und ob sie es nicht erreicht hatte, ohne dass er die Wahrheit erkannte.
Der Teppich näherte sich dem verschachtelten Palastkomplex. Der Herrschersitz des Emirs Kahraman überragte das Gewirr der Altstadt mit Zwiebeltürmen und Minaretten, mit Rippenkuppeln und Hufeisenfenstern, mit Wehrgängen, deren Zinnen wie Blütenblätter geformt waren. Die Mauern waren lehmfarben wie die der einfachen Häuser, aber in die Prachtbauten im Herzen der Anlage hatten die Baumeister ziselierte Ornamente eingelassen. Mondlicht und Schatten hoben die Verzierungen hervor, als hätte jemand Pergament darüber gebreitet und die Formen mit Kohle berieben.
Jenseits der Südmauer stieg noch immer Rauch auf, aber die Feuer waren ausgebrannt. Gedämpftes Stimmengewirr drang jenseits der Zinnen herauf: Händler, die herbeigeeilt waren, um den Verlust ihrer Stände und Pferche zu beklagen. Brandgeruch wurde von den Höhenwinden über die Stadt getragen.
Tariks Blicke wurden wachsamer. Außerhalb
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