Sturmkönige 01 - Dschinnland
panischen Wiehern des Elfenbeinpferdes. Nach Junis’ Aufprall im Staub.
Tarik zog den Kopf ein, beschleunigte den Teppich und jagte geradewegs in den Pfeilhagel.
Die Palastmauer
Fackeln brannten auf den Zinnen. Die Abstände waren zu groß, um im Dunkeln die Soldaten zählen zu können. Tarik verzog das Gesicht zu einem schmerzlichen Lächeln. Vielleicht hatte er Junis einen Gefallen getan. Es reichte, dass einer von ihnen beiden das Wagnis einging, von einem Pfeil aus der Luft geholt zu werden. Junis mochte dazugelernt haben, eine ganze Menge sogar, aber was er an Geschick gewonnen hatte, machte seine Überheblichkeit wieder zunichte.
Alles in Tarik schrie danach, die Geschwindigkeit des Teppichs zu verlangsamen, als er leicht nach links schwenkte und weiter parallel zur Mauer flog. Statt dessen ballte er im Muster die Faust und trieb den Teppich mit aller Macht vorwärts. Andere hätten in dieser Lage vielleicht einen Ausweichkurs eingeschlagen, vielleicht ein wildes Hin und Her, um die Schützen irrezuführen. Er aber nahm den geraden Weg, so niedrig wie möglich über dem Boden, wo die Lichtkreise der Fackeln ihn nicht erreichen konnten.
Die Mauer war sechs Mannslängen hoch und mit Lehm verputzt. An manchen Stellen war er abgeplatzt und entblößte grobes Gestein. Dunkle Schattenflecken sprenkelten die raue Oberfläche. Vielleicht Spuren vergessener Belagerungen oder Wasserschäden oder Schießscharten; bei Nacht und im rasenden Vorbeiflug war der Unterschied kaum zu erkennen.
Er hatte ein gutes Stück der Mauer hinter sich gebracht, ehe ihm bewusst wurde, dass ihn bereits mehrere Schüsse verfehlt hatten. Sie surrten hinter ihm durch die Nacht, schlugen am Boden in den Staub oder verschwanden in den Schatten zwischen der vorderen Häuserreihe. Die Straße am Fuß der Palastmauer war etwa zwanzig Schritt breit, links von den Fassaden der Altstadt begrenzt. Hier und da lehnten sich die Stände fliegender Händler an die Festungsmauer. Nachts waren sie verlassen, alle Ware aus den Auslagen verschwunden.
Tarik ahnte, dass die Finsternis zwischen den Häusern nicht so menschenleer war, wie sie erschien. Obwohl die Veranstalter der verbotenen Rennen die Route erst im letzen Moment bekannt gaben, sprach sich die Strecke schneller herum, als die Teppiche fliegen konnten. Nicht selten warteten Plünderer und Diebe an den gefährlichsten Passagen, um die kostbaren Teppiche gestürzter oder abgeschossener Reiter einzusammeln. Jeder einzelne war ein kleines Vermögen wert. Keine Knüpferei in Samarkand verstand sich auf die Herstellung fliegender Teppiche. Der Ursprung dieser Kunst lag in Bagdad, und seit die Verbindung zwischen den Städten abgeschnitten war, gab es keinen Nachschub mehr. Tarik wusste das besser als jeder andere: Nachdem er die Schmuggelrouten seines Vaters übernommen hatte, war er der Einzige gewesen, der neue Flugteppiche nach Samarkand gebracht hatte. Als er die Reisen durchs Dschinnland vor sechs Jahren aufgegeben hatte, war auch der Schmuggel versiegt. Er war der Letzte gewesen, der die zweitausend Kilometer bis Bagdad bewältigt hatte – was die Vorstellung, Junis könnte in seine Fußstapfen treten, umso wahnwitziger machte.
Eine Lanze verfehlte ihn. Der Teppich streifte ihren Schaft, stieß sie aus ihrer Wurfbahn und ließ sie ins Dunkel davontrudeln. Tarik hoffte, dass sie eine der Gestalten erwischte, die dort unten im Nachtschatten auf seinen Absturz lauerten. Noch immer sah er niemanden, aber er war sicher, dass sie da waren. Gesindel, das keine Skrupel hatte, ein wenig nachzuhelfen, wenn der Sturz einen Teppichreiter nicht getötet hatte.
Er senkte den Teppich jetzt so weit herab, dass seine Unterseite haarscharf über die verwaisten Händlerstände fegte. Planen knatterten hinter ihm im Zugwind, hier und da stürzte eine baufällige Lattenkonstruktion zusammen. Weitere Pfeile verfehlten ihn, während oben auf den Zinnen Gebrüll laut wurde. Hauptleute schrien ihre Soldaten zusammen, weil sie es nicht fertigbrachten, einen einzelnen Teppichreiter aus der Luft zu holen.
Tarik lächelte grimmig. Er war nicht unverwundbar, aber er kannte ihre Schwächen. Den ungünstigen Schusswinkel zum Fuß der Mauer. Die Tücken der Finsternis.
Weit vor ihm fiel eine Fackel in die Tiefe, erhellte im Sturz einen Streifen der Palastmauer und landete im verlassenen Bretterverschlag eines Händlers. Zwei weitere Fackeln folgten. Eine fiel ins Stroh eines leeren Tierpferchs. Innerhalb
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