Sturmkönige 01 - Dschinnland
Wähnte sich der Teppichreiter in Sicherheit, wurde er vom Himmel geschossen und zum Schweigen gebracht, bevor er einem Vorgesetzten von dem Handel berichten konnte.
Die Tatsache, dass Junis am Morgen aufgebrochen war, sprach für die zweite Möglichkeit. Geld schien für Sabatea keine Rolle zu spielen. Wer wusste schon, in wie viele Schmuckschatullen sie gegriffen hatte, um ihre Flucht aus Samarkand zu bestreiten?
Tarik fluchte in den Gegenwind. Unter ihm blieb die Karawane zurück, die noch nicht einmal die halbe Strecke durch das fruchtbare Umland bewältigt hatte. Es war lange her, seit jemand versucht hatte, das Dschinnland am Boden zu durchqueren. Längst war in Vergessenheit geraten, wie viel Zeit die zweitausend Kilometer bis Bagdad in Anspruch nahmen. Einige Wochen, vermutete Tarik. Deutlich länger jedenfalls als die fünf bis sechs Tage, die sein Teppich benötigen würde. Vorausgesetzt, es gab keinen unverhofften Regen. Bei Nässe verschloss sich das Muster dem Zugriff des Reiters, und das Gewebe weigerte sich, vom Boden abzuheben. Doch Khorasan war ein Land erbarmungsloser Dürren. Um diese Jahreszeit war draußen in der Karakumwüste kaum mit Wolkenbrüchen zu rechnen.
Er näherte sich dem Wall und erkannte Einzelheiten. Als die Dschinne vor zweiundfünfzig Jahren aus dem Nichts aufgetaucht waren, war ihre Streitmacht von Westen angerückt. Seither hatten sie das Land um Samarkand in Besitz genommen, mit Ausnahme der östlichen Seidenstraße ins Gebirge; auf ihrem letzten Stück bis zur Stadt war sie fast schwerer bewacht als der Wall. Hier im Westen aber gab es jenseits der Grenze niemanden mehr, der sich den Dschinnen entgegenstellte. Gewiss, man erzählte sich Geschichten von Aufständischen gegen die Macht der Geister, von zerlumpten Rebellentrupps, die sich in der Karakum verbargen und den Eindringlingen Widerstand leisteten. Doch Tarik hatte keinen von ihnen je zu Gesicht bekommen. Auch sein Vater hatte sie nie erwähnt.
Dort draußen gab es nichts als Leere und Tod. Die Täler des Kopet-Dagh, der sich unsichtbar weit im Westen als grüne Gebirgsinsel aus der Wüste erhob, waren in Massengräber verwandelt worden. Die Dschinne hatten die Menschen aus Dörfern und Gehöften dort zusammengetrieben und niedergemacht. Und da waren die Monumente aus Leichen, die die Dschinne errichtet hatten, ohne Zweck, ohne erkennbaren Sinn.
Die ersten Pfeile rasten Tarik in niedrigem Winkel entgegen. Die Wächter auf dem Wall waren früher auf ihn aufmerksam geworden, als er gehofft hatte. Er verfluchte seinen Bruder und das Mädchen, ballte im Muster die Hand zur Faust und brachte den Teppich zum Schlingern. Er behielt die größtmögliche Höhe bei und pendelte in kurzen Schlenkern nach rechts und links. Das Gewicht der Ausrüstung auf seinem Rücken drohte ihn bei gewagten Manövern zur Seite zu reißen. Er musste sich mit einer Hand an der Teppichkante festhalten, während die andere die Stränge des Musters umfasste, sie mit Zeige- und Mittelfinger neu sortierte und verflocht. Teppiche wurden rasch träge, wenn man keine beständige Verbindung zu ihnen hielt. Lange Geraden oder Kreise flogen sie ohne Aufsicht; alles andere verlangte komplizierte Befehle und Konzentration.
Die Geschosse kamen jetzt häufiger und besser gezielt. Von beiden Seiten des Wehrgangs eilten Soldaten herbei, ein Pulk aus Bogenschützen, die einen Pfeil nach dem anderen an ihre Sehnen legten. Ein Hauptmann schrie Befehle. Ein anderer gestikulierte zum Himmel und hielt Ausschau nach weiteren Teppichreitern.
Der Wall erhob sich zwanzig Meter hoch und war ebenso breit. Seine Wehrgänge boten Platz für eine Armee. Er erstreckte sich rund um die Stadt und das grüne Umland, aufgeschichtet aus Fels, der aus den Hängen des Pamirgebirges geschlagen worden war. An vielen Stellen war der Wall nach Angriffen der Dschinne ausgebessert worden, mit Balken und aufgeschüttetem Geröll, mit Lehm und festgebackenem Erdreich. Nachschub aus dem Gebirge in eine belagerte Stadt zu schaffen war schwierig und hätte mehr Menschenleben gekostet, als der Wall zu schützen vermochte.
Oft hatte sich Tarik beim Anblick der notdürftigen Reparaturen gefragt, weshalb die Dschinne nicht längst durchgebrochen waren. Auch viele andere hatten diese Frage gestellt. Vielleicht war das der Grund, warum schon vor Jahren das Gerücht aufgekommen war, der Emir habe einen Pakt mit den Dschinnen geschlossen, um Samarkand und seine Herrschaft zu sichern.
Tarik aber
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