Sturmkönige 01 - Dschinnland
mit etwas Glück konnte er unterwegs etwas Essbares fangen. In seinem Bündel steckten ein paar Fladen Brot, getrocknete Datteln und Feigen, ein paar Streifen gesalzenes Fleisch. Zwei Schläuche mit Wasser für den Notfall, obwohl er hier draußen genug davon finden würde. In der Karakum gab es Oasen, Wegmarken der einstigen Seidenstraße. In den Bergen des Kopet-Dagh flossen Bäche und Flüsse.
Die vergangenen sechs Jahre schrumpften zusehends in seiner Erinnerung. Seit seinem letzten Ritt nach Bagdad schienen keine vier Wochen vergangen zu sein. Schon jetzt spielte sein Geist ihm Streiche, und es würde viel schlimmer werden, wenn er nicht Acht gab. Nicht alle Wesen des Dschinnlandes kämpften mit Krallen und Fängen. Andere schlichen sich unsichtbar heran, nisteten im Verstand der Menschen. Manche behaupteten, diese Kreaturen seien nicht mit den Dschinnen gekommen. Es seien die Geister jener, die den Horden der Wilden Magie zum Opfer gefallen waren und die noch immer in der Einöde umgingen, einsam, erfüllt von Hass und Bosheit.
Tarik trug das Krummschwert seines Vaters am Gürtel. Das Gehänge war lang genug, um die Klinge neben sich zu legen, während er im Schneidersitz auf dem Teppich saß. Die Scheide war aus gedunkeltem Leder, ohne jede Zierde. Auch der Griff war schlicht, mit gegerbtem Darm umwickelt, die Parierstange leicht gebogen. Im Nachhinein wunderte er sich, weshalb Junis nicht auch die Waffe und die Sanduhr ihres Vaters gestohlen hatte. Dann erinnerte er sich schmerzlich: Beides hatte lange beim Pfandleiher gelegen, nachdem Tarik die Schmuggelflüge aufgegeben hatte. Damals hatte er nicht geglaubt, dass er je wieder Verwendung dafür haben würde. Der Anflug von Sentimentalität, als er sie ausgelöst hatte, hatte ihn die Prämien mehrerer Rennen gekostet. Nicht einmal heute war er sicher, ob das die richtige Entscheidung gewesen war. Beides fühlte sich an wie Ballast aus einem Leben, mit dem er vor langer Zeit abgeschlossen hatte.
Er bedeckte die Schulterwunde mit Salbe und Blättern, drückte beides fest und zog das zerrissene Wams darüber.
Kein Verband, nichts, das nach Schwäche aussah. Der Anschein, leichte Beute zu sein, war hier draußen ein todbringender Makel.
Die Felsen am Horizont rückten näher. Zwei Ansammlungen knorriger Sandsteinfinger, in den Himmel gekrallt wie die Hände eines Riesen, der dort lebendig begraben worden war. Dazwischen ein Abstand von dreißig Metern. Es brächte Glück, zwischen ihnen hindurchzufliegen, hatte sein Vater gesagt. Damals mit Maryam hatte Tarik diesen Rat befolgt. Bald darauf hatte der Narbennarr sie geholt.
Er flog jetzt genau auf die Felsen zu, wie so viele Male zuvor. Maryam war aufgeregt gewesen, fröhlich wie ein Kind, dem man Geschenke macht. Sie hatte gar nicht aufhören können, von Bagdad zu sprechen, einem Ort, den sie nie mit eigenen Augen gesehen hatte. Sie redete ausgelassen von der Zukunft, malte die Stadt in leuchtenden Farben, ihre Türme und Kuppeln und Zinnen und Menschen. In diesen Augenblicken war Tarik froh gewesen, dass er sich hatte überreden lassen, mit ihr fortzugehen. Ihr helles Lachen in seinem Nacken. Die verschlungenen Ornamente aus Henna auf ihren Fingern. Die Aufrichtigkeit ihrer Gefühle. Und das unerschöpfliche Übermaß seiner eigenen.
Er riss den Teppich herum, bevor er das Felsentor durchqueren konnte. Stattdessen lenkte er ihn nach rechts und schlug einen Bogen um die nördliche Formation. Ein Huschen und Krabbeln in den Schatten am Boden. Knisternde, schnarrende Laute. Nicht hinsehen, nicht ablenken lassen.
Es konnte nur ein paar Stunden her sein, seit Junis die Felsen passiert hatte. Wahrscheinlich war er hindurchgeflogen und artig dem Weg auf der Karte gefolgt. Bemüht, alles richtig zu machen. Vermutlich hatte Sabatea ihn belächelt, heimlich, hinter seinem Rücken.
Noch immer Bewegung in den tiefen Schatten, sichtbar nur aus dem Augenwinkel. Dann blieben die Felsen zurück und mit ihnen das, was dort lauerte. Vor Tarik öffnete sich das Wüstenland. Die weite, reine, entmenschte Leere. Kahl gefressen wie blanke Gebeine.
Junis und Sabatea waren irgendwo dort draußen, kaum mehr als einen halben Tag entfernt.
Und noch etwas erwartete ihn dort.
Der Narbennarr. Das Aaslicht.
Das Echo einer Nacht auf der Alten Bastion.
Elfenbeinpferde
»Was ist das dort vorn?«, fragte Sabatea.
Vor ihnen im Westen zog die Nacht herauf. Der Himmel hatte sich dunkelrot gefärbt. Die untere Hälfte der
Weitere Kostenlose Bücher