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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Sonne wurde von etwas verdeckt, das zu kantig und eckig war, um ein natürlicher Teil der Landschaft zu sein.
    »Die Alte Bastion«, antwortete Junis. »Der erste Wall gegen die Dschinne. Neun Jahre, nachdem sie zum ersten Mal aufgetaucht sind, ist er überrannt worden. Erst danach haben sich die Menschen hinter den zweiten Wall zurückgezogen, vor den Toren Samarkands.«
    »Ich wusste nicht, dass es früher noch einen anderen gegeben hat.«
    »Kaum einer redet mehr davon. Tausende sind hier gefallen. Angeblich gehen ihre Geister noch heute um.«
    Sie lachte leise. »Versuchst du, mir Angst zu machen?«
    Sie sah von hinten über seine Schulter auf sein Gesicht. Ein grimmiger und trotzdem jungenhafter Zug lag in der Art, wie das Lächeln seine Wangenmuskeln straffte. Sein dunkles Haar war länger als das von Tarik, einzelne Strähnen fädelten sich im Gegenwind durch seine goldenen Ohrringe.
    »Angst lockt die Dschinne an.« Er sagte das, als hätte er es hundertmal selbst erlebt. »Tarik hat immer gesagt, es wäre trotzdem gut, welche zu haben.«
    Das ließ sie schmunzeln. »Tarik sagt das?«
    Junis nickte.
    »Und du hörst auf ihn?«
    Sein Schulterzucken überraschte sie. Sie hatte ihn für unvernünftiger gehalten. »Er ist oft genug hier draußen gewesen. Warum sollte ich seine Erfahrung in den Wind schlagen?«
    »Weil du ihn nicht magst? «
    »Er hat für sein Wissen einen hohen Preis gezahlt. Wenn er es nicht nutzt, dann tue ich es eben.«
    »Genauso wie die Landkarten und das Geld?«
    »Ausgerechnet eine Diebin will mich verurteilen? Eine entflohene Sklavin?«
    »Ich war keine Sklavin.«
    »Trotzdem musstest du erst fortlaufen, um frei zu sein.«
    »Genau wie du.«
    Während sie sich der Bastion näherten, versuchte Sabatea, sich einen Überblick zu verschaffen. Es war unmöglich, nicht nur wegen der anbrechenden Dunkelheit. Die Sonne blickte golden hinter der gezahnten Silhouette hervor, trieb in diffusem Abendrot. Aber ihre Strahlen reichten nicht weit. So, als wäre die Dunkelheit, die den beiden von Osten her folgte, dichter und kräftiger als das Tageslicht.
    Die Alte Bastion war ein hoher, halb zerstörter Wall, der sich über die gesamte Breite ihres Blickfelds erstreckte, von Südosten nach Nordwesten. An mehreren Stellen war die gewaltige Mauer gesprengt worden, von Mächten, deren Stärke Sabatea sich nicht vorstellen mochte. Etwas schimmerte jenseits der Lücken in der Befestigung. Ein Fluss?
    »Der Amu Darja«, erwiderte Junis, als sie ihn danach fragte. »Die Bastion ist entlang seines Ostufers errichtet worden, auf unserer Seite. Erst weiter oben im Norden löst sie sich von ihm und führt über Buchara – oder das, was heute noch davon übrig ist – bis zu den Hängen des Nuratau. Im Süden folgt sie ihm weiter bis zu den Hissarbergen.«
    Sabatea hatte Samarkand nie verlassen. So wie Junis all diese Namen aufzählte, klangen sie auswendig gelernt. Nicht so, als hätte er tatsächlich eine genau Vorstellung von den Orten, die sich dahinter verbargen.
    »Das Wasser hat die Dschinne natürlich nicht aufgehalten«, fuhr er fort. »Aber an der Bastion haben sie sich eine Weile lang die Zähne ausgebissen. Damals hat noch niemand geahnt, wie viele sie wirklich waren. Aber nachdem die alten Hafenstädte am Kaspischen Meer gefallen waren, strömten immer mehr von ihnen hierher. Irgendwann haben sie den Wall einfach überrannt.«
    »Hat dein Vater dir das erzählt?«
    Er nickte. »Mein Großvater ist hier gefallen. Mein Vater war damals noch ein Kind, aber er konnte sich noch an den Tag erinnern, als die Nachricht von der Niederlage in Samarkand eintraf. Die Frauen und Kinder versammelten sich vor der Stadtmauer und warteten auf den Rückzug der Soldaten. Sie warteten vergeblich. Es gab nur verstreute Flüchtlinge, ein paar einzelne Trupps, die wahrscheinlich desertiert waren, als das Ende abzusehen war. Aber die meisten kehrten nicht mehr heim. Alle glaubten, dass auch der zweite Wall fallen würde, doch die Dschinne ließen sich Zeit mit ihrem nächsten Angriff. Und als sie kamen, war ihre Zahl viel geringer als beim Sturm auf die Bastion. Es heißt, dass sie nie ernsthaft versucht haben, den zweiten Wall zu brechen.«
    »Weil sie in der Wüste leben. Samarkand ist von Grün umgeben und liegt zu nah am Gebirge.«
    Junis zuckte die Achseln. »Vielleicht war das unser Glück. Wer weiß.«
    Wenn er so redete, über Dinge, die nicht ihn selbst oder seinen Hass auf Tarik betrafen, mochte sie ihn beinahe.

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