Sturmkönige 01 - Dschinnland
Hinterhöfen anboten. »Irgendwann wird es Samarkand genauso ergehen wie Buchara«, sagte sie. »Dass der Emir ein Gefängnis daraus gemacht hat, wird daran nichts ändern.«
»Ich glaube nicht, dass es einen Unterschied macht, ob ich in Bagdad oder Samarkand auf einem ihrer Leichentürme lande.«
Maryam setzte sich auf die Brunnenmauer und ließ die gebräunten Fesseln baumeln. Sand rieselte von ihren Füßen. »Glaubst du, dass du ihn vermissen wirst?« Manchmal wechselte sie das Thema schneller, als er folgen konnte. Sie dachte auch schneller als er, jedenfalls schien es ihm oft genug so.
»Meinen Bruder?«
Sie nickte.
Seit dem Tod ihres Vaters hatte er für Junis gesorgt. Sechs Jahre lagen zwischen ihnen, doch manchmal schien es Tarik, als hätte Junis noch immer weit mehr von einem Kind an sich, als er selbst wahrhaben wollte. Aber es war leichter gewesen, ihn in der Obhut ihrer Mutter zurückzulassen, solange er sich einreden konnte, dass Junis trotz allem ein Mann geworden war. Zumal Tarik die Schmuggelflüge von Bagdad aus fortsetzen wollte und seinen Bruder schon in wenigen Monaten wiedersehen würde.
Schuldgefühle machten ihm dennoch zu schaffen. Um davon abzulenken, sagte er mit einem Lächeln: »Ich frage mich, wer sich mehr Sorgen um ihn macht, du oder ich?«
»Er ist erst sechzehn«, entgegnete sie vorwurfsvoll. »Vor ein paar Tagen hat er einer Katze ein Glöckchen an den Schwanz gebunden und zugesehen, wie sie in Panik vor sich selbst davonlief. Macht so was ein Mann, auf den du eifersüchtig sein müsstest?«
Er lachte leise. »Wie kommst du darauf, dass ich eifersüchtig bin?«
Ein spöttisches Blitzen flackerte in ihren dunklen Augen. »Warum gehst du sonst mit mir nach Bagdad?«
Er wollte im selben Tonfall antworten, aber dann schüttelte er ernst den Kopf. »Dich nicht verlieren zu wollen, und dich nicht an ihn verlieren zu wollen, macht einen Unterschied… Und ich weiß, dass du nicht in Junis verliebt bist.«
Sie glitt von der Mauer, machte einen tänzelnden Schritt auf ihn zu und küsste ihn. »Gut.«
Einen Moment lang ließ er von Eimer und Wasserschlauch ab, legte die Hände um ihre Taille und zog ihren Unterleib fest an seinen. Sie musste plötzlich lachen, während sie sich küssten, drückte sich aber noch enger an ihn und schob ihn gegen die Brunneneinfassung. Als er fast keine Luft mehr bekam, ließ sie ihn los.
»Glaub mir, es ist richtig, nach Bagdad zu gehen.«
Er seufzte. »Wenn du das sagst.«
»Bagdads Armeen haben vor hundertfünfzig Jahren ganz Khorasan erobert, ganz abgesehen von all den anderen Ländern. Vielleicht haben die Soldaten des Kalifen einfach mehr Erfahrung damit, sich ihre Feinde vom Hals zu halten.«
»Nur dass es dir darum gar nicht geht.« Tatsächlich konnte er sich schwerlich jemanden vorstellen, der sich weniger gern hinter der Macht einer Armee versteckte als Maryam. Sie war mit ihm aus Samarkand geflohen, um der Unterdrückung durch den Emir zu entkommen. Ganz sicher suchte sie in Bagdad nicht den Schutz des Kalifen und seiner Heere.
Sie wurde schlagartig ernst, und bei ihr sah das immer ein wenig traurig, fast wehmütig aus. »Du hast gesagt, dass in Bagdad niemand eingeschlossen wird. Dass jeder die Stadt verlassen darf, wann er will. So wie die Dinge liegen, kann ich mir keinen besseren Ort vorstellen. Die Enge in Samarkand, all die Verbote…«
Er wusste, was sie meinte. Fast jede Nacht war sie schreiend erwacht, nass von Schweiß und Tränen. Sie hatte geträumt, eingesperrt zu sein wie in einem Kerker. Nur dass der Kerker eine Stadt war, und sie sah aus wie Samarkand. Er hatte es mit Zureden versucht, mit Argumenten. Dass Samarkands Wall trotz allem ein Maß an Sicherheit bot, das es im Dschinnland nicht gab. »Wie kannst du so etwas sagen?«, hatte sie ihn damals gefragt. »Wo du doch kommst und gehst, wie es dir gefällt?« Zuvor hatte sie ihn viele Male gebeten, ihn auf seinen Schmuggelflügen begleiten zu dürfen, und immer hatte er es ihr aus Angst um sie verweigert. Bis dieselbe Angst ihm keine Wahl mehr gelassen hatte, als nachzugeben. »Ich halte es hier nicht mehr aus«, hatte sie gesagt. »Die Träume bringen mich um. Das Eingesperrtsein bringt mich um.«
Dass sie Freunde hatte, die in einen Mordanschlag auf Emir Kahraman verwickelt waren, hatte schließlich den Ausschlag gegeben. Weder sie noch Tarik hatten von den Plänen gewusst, aber womöglich war es nur eine Frage der Zeit, ehe das Auge der Ahdath auch auf Maryam
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