Sturmkönige 01 - Dschinnland
dann ergriff er ihre Hand. Er neigte zu Wutausbrüchen – immerhin eine Eigenschaft, die sie teilten. Doch so rasch er außer sich geriet, so schnell vergaß er seinen Zorn auch wieder. Sein Griff um ihre Hand war fest, aber nicht schmerzhaft.
»Ich will nicht, dass dir irgendwas geschieht«, flüsterte er eindringlich. »Das würde ich mir nie verzeihen.«
»Ich dir auch nicht.« Damit zog sie ihre Hand zurück, drehte sich um – und erstarrte, noch bevor sie durch den Spalt hinaus auf den Lagerplatz treten konnte.
Ein fliegender Teppich schwebte inmitten des Felskessels, eine gute Armlänge über ihrem eigenen, der noch immer am Boden lag. Und im Schein der Öllampe grinste ihnen ein Gesicht entgegen, das mehr Ähnlichkeit mit Junis hatte, als beide Brüder wahrhaben wollten.
»Niemals das Lager unbewacht lassen«, sagte Tarik. »Die Schritte, die man hört, könnten eine List sein.«
»O Allah!«, entfuhr es Junis verbissen.
»Du glaubst nicht mal an ihn«, entgegnete sein Bruder. »Falls er sich das gemerkt hat, hast du schlechte Karten.«
Sabatea trat mit einem Seufzen aus dem Spalt. Sie hatte dieses Gespräch schon jetzt satt. »Hübscher Ort für eine Familienfeier. Ich muss nachdenken, ob mir ein passender Trinkspruch einfällt.«
Tarik hob seinen Wasserschlauch. »Auf das Wohl der jungen Liebenden.«
Junis hielt noch immer das Schwert in der Hand, als er zwischen den Felsen hervorstürmte und missmutig feststellte, dass er von hier aus zu seinem Bruder aufsehen musste. »Was hast du hier zu suchen?«
»Suchen?« Tarik schüttelte den Kopf. »Eure Lampe scheint an den Felsen hinauf, als wolltet ihr die Dschinne der ganzen Wüste anlocken. Niemand muss nach euch suchen, um euch zu finden. Und abgesehen davon – es ist ratsam, Lagerplätze wieder so herzurichten, wie man sie vorgefunden hat. Menschenspuren in der Wüste könnten manch einen hier draußen auf falsche Gedanken bringen.«
Junis holte tief Luft, um seinen Bruder anzubrüllen. Aber Sabatea kam ihm zuvor, indem sie kurzerhand zu Tarik auf dessen Teppich sprang und sich breitbeinig vor ihm aufbaute. Nun war Tarik derjenige, der aufschauen musste; obgleich es kindisch war, verschaffte ihr das ein gewisses Maß an Genugtuung.
»Du hattest deinen Spaß«, sagte sie. »Sparen wir uns den Rest und tun einfach so, als hätten wir schon jeden rechthaberischen, besserwisserischen, altklugen Spruch von dir zu hören bekommen. Zumindest eine Regel, die hier draußen gilt, habe ich begriffen: Verschwende keine Zeit.«
Tarik lächelte. »Dass du von Zeitverschwendung nichts hältst, war mir schon klar, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind.«
»In Junis’ Zimmer«, sagte sie betont, »war das etwas anderes.«
Junis gegenüber hatte sie mit keinem Wort erwähnt, was zwischen ihr und Tarik vorgefallen war. Eifersüchtiger Kindskopf, der er war, würde er sie womöglich in der Wüste zurücklassen. Allein mit Tarik. Schwer vorzustellen, dass sie sich eben noch gewünscht hatte, er wäre hier.
Was nichts daran änderte, dass sie insgeheim erleichtert war. Ein wenig.
Bis er sagte: »Ihr müsst auf der Stelle umkehren.«
Junis verzog abfällig einen Mundwinkel. »Natürlich. Was immer du sagst.«
»Sie beobachten euch.«
Junis winkte ab, doch Sabatea hob eine Augenbraue. »Wie kommst du darauf?«
»Nicht schwer«, sagte Junis. »Er hat es sich ausgedacht.«
Tarik erhob sich. Er ließ den Teppich zu Boden sinken – mit einem Ruck, der Sabatea beinahe umgeworfen hätte. Blitzschnell schoss seine Hand vor und hielt sie am Arm fest, bevor sie fallen konnte.
Ihr erster Impuls war, sich loszureißen. Dann aber blieb sie stehen, sah seine Hand auf ihrem Unterarm an und dachte, dass es schlimmere Berührungen gab als seine.
Junis starrte sie an, dann Tarik, schließlich das Schwert in seiner Hand. »Bei allen Dschinnen!« Wütend rammte er die Klinge in den Sand, ging hinüber zu seinem Bündel und spritzte sich Wasser aus seinem Lederschlauch ins Gesicht. Der Staub hatte eine unnatürliche Blässe über seine Züge gelegt, die das Wasser nun in breiten dunklen Bahnen fortspülte. Er war ohne Frage der hübschere der beiden Brüder, weil in seinen Augen genau jene Abenteuerlust brannte, die Sabatea manchmal selbst verspürt hatte, früher, im Palast. Tarik hingegen sah aus, als hätte er alles gesehen, alles erledigt. Er erwartete keine Überraschungen mehr, nicht einmal hier draußen. Er war noch keine dreißig, aber seine Augen waren
Weitere Kostenlose Bücher