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Sturmkönige 01 - Dschinnland

Sturmkönige 01 - Dschinnland

Titel: Sturmkönige 01 - Dschinnland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Gejagte.
    Endlich lief er nicht länger davon.

 
Maryam
 
 
    Gegen Mittag ereichte er die Oase aus seinen Erinnerungen – drei Dutzend Palmen in einer tellerförmigen Sandsenke. Einer jener Orte, die es in allen Wüsten gab. Als läge ein Bann darüber, der die Wanderdünen fernhielt und selbst nach dem heftigsten Sandsturm alles unverändert zurückließ.
    Der Zauber von damals war verflogen. Nichts erinnerte mehr an den lichten Palmenhain mit seinem Versprechen von Ruhe und Erfrischung, an die Kühle, die vom Wasser in dem tiefen Brunnenschacht aufgestiegen war.
    Die grünen Palmen von einst waren schwarz und abgestorben, hingekritzelte Kohlestriche vor dem grellen Weißgelb der Wüste. An den Spitzen der Stämme hingen verdrehte, schlaffe Überreste von Blättern. Erst als er tiefer ging, erkannte er, dass es Körper waren, aufgeknüpft vor Gott weiß wie langer Zeit. Mehr als dreißig, an jeder Palme einer. Die Hitze hatte sie schrumpfen lassen. Weil es hier draußen keine Vögel mehr gab, hatte kein Aasfresser das Fleisch von den Knochen gepickt. Die welke Haut war verdorrt wie zu eng gewordene Kleidung.
    Das Feuer musste die Oase verwüstet haben, bevor die Leichen an den Stämmen aufgehängt worden waren.
    Wahrscheinlich waren diese Menschen längst tot gewesen, als man die abgestorbenen Palmen mit ihnen dekoriert hatte. Tarik traute den Dschinnen zu, dass die Körper von weit hergebracht worden waren, um sie hier zu platzieren. Sie hatten einen eigenwilligen Sinn für derlei Dinge. Makaberer Götzendienst, glaubten die einen. Rasender Hass, die anderen. So sehr sich die Menschen bemühten, das Tun der Dschinne zu verstehen, so hoffnungslos waren doch all ihre Versuche. Die Dschinne waren aus Wilder Magie geboren: Ihre Gedanken ließen sich nicht nachvollziehen, ihr Handeln entzog sich menschlichem Begreifen. Glaubten sie an Götter? Hatten sie gar ein – wenn auch grausames – Verständnis für Kunst, für Ästhetik? Oder bereitete ihnen das herzlose Zurschaustellen ihrer Opfer schlichtweg Vergnügen? Es gab keine Antworten darauf, solange es nicht gelang, einen Dschinn zum Reden zu bringen. Kein Wort in zweiundfünfzig Jahren.
    Tarik ließ den Teppich weiter absinken, bis er in den Brunnen im Herzen der Oase blicken konnte. Die Sonne stand im Zenit und erhellte mehrere Meter tief das Innere des Schachtes. Nichts zu erkennen. Die hölzerne Aufhängung für den Schöpfeimer war spurlos verschwunden. Ob es dort unten noch Wasser gab, blieb ungewiss. Ebenso, ob die Dschinne etwas in der Tiefe zurückgelassen hatten. Eine Überraschung für durstige Reisende.
    Gedankenverloren befahl er dem Teppich, in der Luft zu verharren. Wenn es noch Zweifel gegeben hatte, dass er am Ende seiner Flucht vor der Vergangenheit angekommen war, dann wurden sie hier zerstreut. Hier hatte alles begonnen.
    Hier hatten sie ihm Maryam genommen.
     

     
    »Das hier ist nicht das Dschinnland, wie ich es mir vorgestellt hatte«, sagte Maryam, als sie neben ihm an der Brunnenmauer stand. Sie stützte sich mit beiden Händen auf den Kranz aus Lehmziegeln und blickte zu den Palmen auf der anderen Seite der Oase. Die riesigen Blätterwedel wisperten im heißen Wüstenwind.
    Tarik hätte sie stundenlang ansehen können, wie sie dastand, das dunkle Haar zerzaust vom Ritt auf dem Teppich und den heißen Luftströmen der Karakum. Das weite Kleid wurde vom Wind fest gegen ihre Schenkel gepresst. Sandkörner wehten über ihre nackten Füße.
    »Wie hast du es dir denn vorgestellt?« Widerstrebend löste er sich von ihrem Anblick und zog den vollen Eimer aus dem Brunnen. Er drückte den Wasserschlauch hinein, presste die Luft aus dem Lederbalg und sah zu, wie die Blasen an der Oberfläche zerplatzten. Das Wasser war trüb, aber es roch nicht verfault; es würde sie lange genug am Leben halten, um die reinen Gebirgsbäche des Kopet-Dagh zu erreichen.
    »Anders. Toter.« Sie hob eine Augenbraue und lächelte mit dieser Mischung aus Unschuld und Gerissenheit, in die er sich gleich bei ihrer ersten Begegnung verliebt hatte. »Ich weiß schon, dass es das Wort nicht gibt.«
    »Was könnte toter sein als eine Wüste ohne Menschen, ohne Tiere? «
    Sie schob ihre schlanken Finger auf der Brunneneinfassung über seine. Die kunstvollen Hennamuster auf ihrem Handrücken reichten bis hinauf zu den Ellbogen. Glücksbringer, behauptete sie. Er wusste es besser: ein Zauber für eine bessere Zukunft, den geächtete Magier in weihrauchverhangenen

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