Sturmkönige 01 - Dschinnland
dasselbe für mich getan. Aber damit hätte er nur sich selbst belogen. Sabatea wusste es besser. Sie beide wussten es besser.
»Ich hole ihn da raus«, sagte er. »Mit oder ohne dich.«
Schlammvulkan
Dicht am Boden folgten sie dem Verlauf mehrerer Täler, deren grüne Wiesen ihnen nur noch deutlicher vor Augen führten, was sie zu verlieren hatten. Einst hatten hier Ziegen, Kühe und wilde Pferde gegrast, doch heute gab es keine Spur mehr von Tieren. Die Gräser bogen sich unberührt unter Winden, die von den Hängen herabstrichen. Nach der Ödnis der Wüste war ihr Geruch beinahe so erfrischend wie das Wasser, mit dem die beiden an einer Quelle ihre verbliebenen Lederschläuche aufgefüllt hatten.
Tarik ließ sich von der trügerischen Idylle dieser Berge nicht täuschen. Einst waren die Täler des Kopet-Dagh eine Freistatt für die Nomaden der Karakum gewesen, die ihr Vieh über diese Wiesen getrieben und im Schatten der Gipfel Zuflucht vor der Wüstensonne gefunden hatten.
Heute lebte hier nur noch das Gras. Selbst die Vogelschwärme dieser Berge hatten vor den Dschinnen die Flucht ergriffen.
Als hinter einem Felsenkamm grauer Dunst aufstieg, lenkte Tarik den Teppich aus der Talsenke einen Hang hinauf. Der Wind wehte hier stärker und zerrte an ihrer weiten Kleidung. Trotzdem hielt er es für klüger, einen Weg durch die oberen Regionen des Kopet-Dagh zu suchen. Das Risiko, in dieser Höhe auf Dschinnpatrouillen zu stoßen, war geringer als in den Senken, auch wenn er und Sabatea hier oben leichter zu entdecken waren als im Schatten der verzweigten Täler.
Die Hänge wurden zu den Gipfeln hin steiler, senkrechte graue Wände, die wie Mauern über unbegehbaren Geröllhalden emporwuchsen. Tarik blieb so nah wie nur möglich an diesen Felsen, in der vagen Hoffnung, dass der Teppich und seine Reiter für Dschinnaugen von den Steinmassen verschluckt werden würden. Die Sonne war fast vollständig jenseits der Berge versunken, nur vereinzelt berührten ihre letzten Strahlen die Gipfelkämme. Mehrfach flog er Umwege, um dem goldenen Schein zu entgehen und den Schutz der anbrechenden Dunkelheit zu nutzen.
Der Dunst, den sie im Süden ausgemacht hatten, wurde bald eins mit der Abenddämmerung. Es stellte sich heraus, dass er nicht aus dem nächsten oder übernächsten Tal aufstieg, sondern sehr viel weiter entfernt war. Als sie endlich den letzten Bergkamm erreichten und Tarik den Teppich auf einem kleinen Plateau landete, war die Welt im Osten schon eins mit der Nacht geworden.
Sie kauerten an einer Felskante und blickten in die Tiefe. Das steile, unzugängliche Tal, das sich vor ihnen öffnete, lag unter einer Glocke aus Rauch und Finsternis.
»Was ist das für ein Gestank?« Sabateas Stimme klang gepresst, als fürchtete sie, irgendwer könnte ihre Worte selbst über die große Entfernung mit anhören.
»Irgendwo dort unten liegt ein Schlammvulkan.« Tarik hatte das gleiche Phänomen schon mehrfach in der Nähe von Dschinnlagern beobachtet. Wo sich Dschinne für längere Zeit niederließen, tat sich der Boden auf und spie zähflüssigen, stinkenden Morast an die Oberfläche.
»Was soll das sein? «
»Etwas wie eine Quelle, aus der statt Wasser kochender Schlamm fließt. Der Kegel ist nur ein paar Mannslängen hoch, aber er spuckt dieses Zeug viele Jahre lang aus.« Er verengte die Augen, in der vergeblichen Hoffnung, den Talgrund besser erkennen zu können. »Den Dschinnen scheint es zu gefallen. Ich weiß nicht, ob es die Wärme ist oder der Geruch… Aber sie scheinen Mittel und Wege zu kennen, heiße Schlammadern ausfindig zu machen und die Erde darüber zu spalten. Ich habe einmal eines ihrer Lager am Ufer des Kaspischen Meeres gesehen, das in einem Umkreis von einem halben Tagesmarsch von heißem Schlamm umgeben war.« Damals hatte er weit mehr als nur Schlamm gesehen, und er fürchtete, dort unten auf etwas ganz Ähnliches zu stoßen.
Das Tal war fast vollständig hinter den Schwaden verborgen. Keine gleichförmige Rauchdecke, sondern ein formloses Wogen und Wirbeln, aus dem sich nur dann vage Umrisse schälten, wenn ein Gebirgswind den Hang hinabjagte und für Sekunden eine Schneise in den Dunst schlug.
Während einem dieser klaren Momente erkannte er einen gewaltigen Riss in der gegenüberliegenden Bergflanke, als wäre die Felswand von einer Riesenaxt gespalten worden. Erst als sich der Rauch ein zweites und drittes Mal teilte, wurde offensichtlich, dass es sich um einen Zugang ins
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