Sturmkönige 01 - Dschinnland
irgendeine Rolle spielt, hier draußen oder anderswo.«
»Immerhin hat es dir gute Dienste geleistet, als du Junis zu diesem Irrsinn überredet hast.« Er hatte das nicht sagen wollen und wusste genau, dass der Vorwurf falsch war: Sein Bruder wäre auch ohne sie nach Bagdad aufgebrochen. Aber da war etwas in ihm, das ihr weh tun wollte – der Teil von ihm, der ihn davor bewahren wollte, sie zu sehr zu mögen.
Er sah ihre Hand heranschnellen, aber es war zu spät. Ihr Schlag traf ihn ins Gesicht, und hätte er den Kopf nur um eine Winzigkeit mehr nach rechts gedreht, hätte sie ihm die Nase gebrochen. So bekam sein Wangenknochen die ganze Wucht des Hiebes ab, nicht mit der flachen Hand, sondern mit der Faust geführt. Er prallte zurück, ließ sie los – und schnellte noch im selben Augenblick wieder nach vorn. Einen Herzschlag später lag sie auf dem Rücken, er presste ihre Handgelenke auf blanken Fels und brachte sein Gesicht kaum einen Fingerbreit über ihres.
Ihre Augen loderten. »Was hast du jetzt vor?« Ihre Stimme war ein lauerndes Schlangenzischen. »Tu, was du willst. Aber wage es nicht noch ein Mal, auch nur zu denken, dass ich nicht mehr wert sei als eine gemeine Palasthure!«
»Schlagen die auch so fest zu wie du?«
»Ich weiß nicht, wie sie sprechen. Ich weiß nicht, wie sie denken. Und ich weiß nicht, wie sie zuschlagen.«
»Ich bin sicher, der Emir hätte sie dafür auf der Stelle in die Mauerhaken werfen lassen.«
»Nein. Nicht sofort. Erst hätte er ausgekostet, dass er ihnen überlegen ist.«
Er ließ ihre Hände los, aber sie ließ sie neben ihrem Kopf am Boden liegen, als wäre unvermittelt alle Kraft aus ihr gewichen. Das verblüffte und verunsicherte ihn. Kaum merklich zog er sich ein Stück von ihr zurück.
Ihre Rechte schoss abermals hoch.
Diesmal griff sie ihm am Hinterkopf ins Haar und zog ihn zu sich herunter. Er sperrte sich nur einen Augenblick lang, dann spürte er ihre Lippen auf seinen. Eine bittersüße Mischung aus Schmerz, der von seiner pulsierenden Wange ausstrahlte, und der fordernden Hitze ihres Kusses brachte seine Fassung einmal mehr ins Wanken.
Aus den Dämpfen des Schlammvulkans ertönten Schreie. Tarik fuhr hoch. Sabatea glitt unter ihm hervor.
Einen Atemzug später knieten sie wieder geduckt am Rand des Plateaus und blickten in die Tiefe, froh, einander nicht in die Augen sehen zu müssen.
Hinter den Dämpfen des kochend heißen Schlamms, der den Grund des Talkessels wie Ofenschlacke bedeckte, waren Bewegungen zu erkennen. Dunkle Flecken, eine Handvoll winziger Strichfiguren, hatten sich aus dem Felsentor gelöst, das vermutlich hinab zu den Hängenden Städten führte. Dschinne waren bei ihnen. Aber erst durch den nächsten Riss in den Schwaden erkannten sie, dass die Menschen von den Dschinnen getragen wurden. Je zwei von ihnen zerrten eines ihrer Opfer an den Armen durch die Luft, wenige Meter über dem Boden. Strampelnd und schreiend wurden die Männer und Frauen über den trockenen Felsstreifen vor der Höhle geschleppt, bis sie das Ufer des Schlammsees erreichten. Die Schreie wurden noch lauter und verzweifelter, als die Menschen die Hitze unter sich spürten, die aufsteigenden Dämpfe, den giftigen Schwefelgestank des schwarzen Morasts. Dann wurden sie fallen gelassen, mitten in den glutheißen Schlamm, wo sie kreischend untergingen. Einmal mehr schloss sich der Dunst über ihnen, aber Tarik wusste, dass es noch nicht vorbei war. Das Kreischen brach wenig später ab, doch er hatte die Bilder von damals wieder vor Augen und er wusste, was er sehen würde, wenn er dort hinunterflog, näher an den Schlamm heran. Er wollte sich nicht erinnern, wollte es sich nicht ausmalen, aber er konnte nicht anders.
Mit einem Ruck richtete er sich auf. Nur einen Moment später saß er im Schneidersitz auf dem Teppich und schob die Hand ins Muster.
»Warte hier«, sagte er. »Hier oben geschieht dir nichts.« Sie sprang hinter ihn und legte den Arm um ihn. »Ich habe es so satt, dass du mich wie eine verdammte Last behandelst.«
»Ich will nicht, dass dir etwas geschieht.«
»Genau das Gleiche hat Junis gesagt.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich komme mit«, sagte sie dann. Und nur einen Herzschlag später: »Ich will nicht mehr mit dir streiten.«
»Gut«, sagte er leise. »Dann lass mich dir etwas zeigen. «
Der Teppich trug sie über die Felskante und stürzte sich in den Schlackedunst.
Statuen im Rauch
Das Tal war geformt wie ein Kessel,
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