Sturmkönige 01 - Dschinnland
Keiner hielt ihn mehr am Boden – das wurde ihm zum Verhängnis. Andere Dschinne sahen womöglich, wie es um ihn stand, aber viele waren unter dem Ansturm der fliegenden Pferde in die Kakteen gestürzt oder in alle Richtungen verstreut worden.
So stieg er inmitten seines Kokons aus Gluthitze aufwärts, kreiselnd und strampelnd, während sich verbrannte Hautfetzen von ihm lösten und von den Winden über die Oase getrieben wurden. Bald war er außer Reichweite der Dschinne, trieb höher und höher, während ihm der Schweif aus Ketten schlingernd und klirrend in den Himmel folgte. Zuletzt war er nur noch ein winziger Punkt vor dem unendlichen Blau, bis es ihn schließlich ganz verschluckte.
Tarik verfolgte das Ende des Kettenmagiers nur aus dem Augenwinkel. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, den Teppich mit aberwitziger Geschwindigkeit nach Süden zu jagen, erst einmal fort von den Dschinnen und den panischen Elfenbeinpferden. Der heiße Gegenwind hatte Sabateas Körper getrocknet, keine Nässe sickerte mehr ins Knüpfwerk. Sie hielt sich wieder an Tarik fest, gab keinen Laut von sich und blickte zurück zum Strom der Elfenbeinpferde. Einige Dschinne hielten die Rösser für Angreifer und klammerten sich an ihnen fest, um zu kämpfen. Doch sie wurden nur in Regionen hinaufgetragen, die über dem Zenit ihrer Flugkraft lagen; zuletzt stürzten sie alle ab, ohne einem der Pferde gefährlich zu werden.
Die übrigen Dschinne taumelten wild durcheinander wie ein aufgescheuchter Taubenschwarm, kaum mehr die Hälfte ihrer ursprünglichen Zahl. Einige von denen, die sich in den Kakteen verfangen hatten, waren noch am Leben, kamen aber aus eigener Kraft nicht mehr frei. Ihre gequälten Schreie folgten Tarik und Sabatea auch dann noch, als die Oase längst nur noch ein dunkler Streifen in der Ferne war.
Schon vor Stunden hatten sie Junis und die Dschinne, die ihn gepackt hatten, aus den Augen verloren. Es gab kaum Hoffnung, dass er noch lebte. Ganz weit hinten in Tariks Gedanken, wo sich die Verzweiflung nach Maryams Verlust fest eingenistet und nur auf einen Anlass gewartet hatte, um wieder zum Vorschein zu kommen, verspürte er die alte Sehnsucht nach Amids saurem Wein, nach dem schalen, dumpfen Vergessen in Samarkands Tavernen und Freudenhäusern.
»Du weißt, dass seine Chancen nicht gut stehen, nicht wahr?« Sabateas Worte rissen ihn aus seinem Selbstmitleid. Der aberwitzige Ritt durch die Hitze hatte ihre Haut spröde und rissig gemacht. Ihr schwarzes Haar wirbelte im Gegenwind.
Tarik beschattete mit einer Hand seine Augen, während er nach Westen blickte. Dort sank die Sonne dem Gipfelkamm des Kopet-Dagh entgegen. Die Schatten der Bergspitzen lagen kopfüber auf den oberen Hängen, während der sonnenhelle Teil darunter gezackt erschien wie ein titanisches Raubtiergebiss.
Seine Wangenmuskeln spannten sich. »Ich habe ihre Sklaven gesehen. Menschliche Sklaven. Die Dschinne töten nicht mehr so blindwütig wie früher. Warum sonst hätten sie Junis fortgebracht, statt ihn gleich in der Luft in Stücke zu reißen?« Das mochte klingen wie eine Frage, aber er meinte es nicht so. Alle Überzeugungskraft, die er aufbringen konnte, galt ebenso sehr ihm selbst wie Sabatea. Junis musste noch am Leben sein. Warum wollte sie das nicht einsehen?
Weil sie so schnell wie möglich nach Bagdad will, flüsterte seine innere Stimme. Weil sie aus irgendeinem Grund in großer Eile ist. Einem Grund, den sie dir noch immer nicht verraten hat.
Er lenkte den Teppich in rasendem Flug auf die Berge zu. Solange er die beiden Dschinne und Junis vor sich gesehen hatte, waren sie nach Westen geflogen, in Richtung des Kopet-Dagh. Irgendwo in diesen Bergen würde er seinen Bruder wiederfinden. Er hatte bereits eine unheilvolle Ahnung, an was für einem Ort das sein mochte.
»Du könntest mir die Wahrheit sagen«, schlug Sabatea in seinem Rücken vor.
»Und das kommt ausgerechnet von dir?«
»Ich hab dich nicht belogen.«
»Aber du hast mir auch nicht die ganze Wahrheit gesagt.«
Sie atmete langsam aus. »Alles, was für dich wichtig war.«
Er warf ihr über die Schulter einen düsteren Blick zu. Immerhin – seine Wut auf sie war mehr, als er für eine der anderen Frauen nach Maryam empfunden hatte. Trotzdem würde er sich nicht länger von ihr ablenken lassen. Anderes war jetzt wichtiger.
Junis war wichtiger.
»Du kommst noch schnell genug nach Bagdad«, sagte er grimmig, während er die Berge vor ihnen nicht aus den
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