Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
Schlacht um die Hängenden Städte, hatten ihn die Helligkeit und der Schmerz fast umgebracht. Der zweite Versuch, nachts auf einem Berggipfel des Kopet-Dagh, war glimpflicher verlaufen. Die menschenleere Einöde vor ihm hatte genauso ausgesehen wie zuvor – mit einem entscheidenden Unterschied. Sabatea, die neben ihm gestanden hatte, war für Amaryllis’ Auge unsichtbar gewesen. Und auch sich selbst hatte er nicht sehen können. Nur einen kahlen Berggipfel ohne jede Spur von Leben.
Beim dritten Versuch, im Palast des Kalifen, hatte er auf dem Thron des Audienzsaals statt des kranken Harun al-Raschid dessen gesundes Ebenbild sitzen sehen. Der gleiche Mann, nicht jünger, nicht älter, aber genesen von seinem Leiden, stark und eindrucksvoll.
Tarik wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Es gab so viel anderes, das ihm zu schaffen machte – seine Sorge um Sabatea, das ungewisse Schicksal seines Bruders, das Geheimnis des Dritten Wunsches. Er hatte sich während der vergangenen Tage so daran gewöhnt, nur mit dem rechten Auge zu sehen, dass Amaryllis’ Fluch immer unwichtiger geworden war.
Aber er wusste auch, dass er sich früher oder später damit auseinandersetzen musste. Seit Tagen hatte er die Stimme des Dschinnfürsten nicht mehr in seinen Gedanken gehört. Allmählich bezweifelte er, dass sie je existiert hatte. Doch etwas war da, irgendwo in ihm, mehr als nur das fremde Auge. Ein Schatten des toten Narbennarren.
Amaryllis hatte behauptet, eine Welt ohne Dschinne zu sehen. Er hatte es für eine Vision der Zukunft gehalten: eine Welt, in der sein Volk von den Menschen ausgerottet worden war. Das war der Grund für den Vernichtungsfeldzug der Dschinnfürsten gegen die Menschheit. Sie glaubten, wenn es ihnen gelänge, jede Frau, jeden Mann und jedes Kind zu töten, könnten sie verhindern, dass die Prophezeiung des Narbennarren Wirklichkeit wurde.
Doch Tarik hatte Zweifel, dass es wirklich die Zukunft war, die Amaryllis gesehen hatte. Als die Soldaten im Palast des Kalifen mit Gewalt sein linkes Auge entblößt hatten, hatte er durch einen Schleier von Schmerz denselben Audienzsaal gesehen, aber nicht in der Zukunft, sondern in einer anderen Gegenwart. Wie ein beunruhigendes Spiegelbild aus Splittern einer zweiten Wirklichkeit.
Jetzt fragte er sich, was er sehen würde, wenn er mit Amaryllis’ Auge auf Bagdad blickte, auf die Menschen dort unten in der Gasse.
Er war auf das Dach der Knüpferwerkstatt gestiegen, um sich der Wahrheit zu stellen. Es war das Einzige, was er tun konnte. Die Stadt war abgeriegelt, niemand gelangte herein oder hinaus. Sein Plan, auf eigene Faust nach Junis zu suchen, war damit vorerst gescheitert. Der Stumme Kaufmann hatte angeboten, seine Quellen über den Ring des Dritten Wunsches zu befragen; aber auch das konnte dauern.
Und Sabatea? Einen zweiten Befreiungsversuch musste er sorgfältiger planen. Die Zahl der Falkengardisten über dem Palast hatte noch einmal zugenommen. Angst vor den Mordkommandos der Dschinne, behauptete Kabir. Keine Chance, ungehindert dort hineinzugelangen.
Tarik legte seine rechte Hand vor das gesunde Auge. Mit der anderen griff er erneut nach der Klappe. Die Wölbung fühlte sich rau an. Ein letztes Durchatmen – dann schob er sie nach oben.
Ganz langsam öffnete er das Auge des Narbennarren.
Vor ihm lag noch immer Bagdad. Die Gasse in zuckendem Fackelschein. Lampenflackern in den Fenstern. Häuser aus Lehm, neben- und übereinandergeschachtelt wie Ziegelsteine. Zahllose Türme, manche wuchtig und mit blattförmigen Zinnen, andere filigran unter spitzen Zwiebeldächern. Die schimmernden Kuppeln der Moscheen. Löchrige Lattendächer und durchhängende Planen über einem nahen Basar, von unten in zuckenden Feuerschein getaucht.
Aber etwas war anders.
Es dauerte einen Moment, ehe das vage Gefühl zur Gewissheit wurde. Er schloss die Augen abwechselnd mit den Händen, schaute erst mit dem linken hin, dann mit dem rechten.
Manche Gebäude unterschieden sich voneinander, je nachdem mit welchem Auge er sie betrachtete. Ein Haus am Ende der Gasse sah er nur mit rechts, vor seinem linken Auge klaffte an der gleichen Stelle eine unbebaute Lücke. Anderswo wechselten Vorhänge und Tuchmarkisen ihre Farben oder waren nicht an denselben Fenstern angebracht.
Die größte Diskrepanz herrschte bei den Menschen, die sich unter ihm in den Gassen bewegten. Als würden sie innerhalb eines Lidschlags von einer höheren Macht ausgetauscht, änderten sie Aussehen
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