Sturmkönige 03 - Glutsand
Ross hatte das keine Bedeutung.
»Vielleicht könnte ihm jemand mitteilen, dass wir hier festsitzen«, sagte Almarik mit einem Blick in Sabateas Richtung.
»Vielleicht solltest du tief Luft holen und das selbst tun, Ifritjäger.«
Da aber stellte sich das Pferd schon auf die Hinterbeine, verharrte inmitten der Leere und drehte gleich darauf wieder Kreise. Dabei blieb es draußen über dem Abgrund, als wollte es ihnen zeigen, dass dies tatsächlich die Richtung war, in der sie ihre Reise fortsetzen mussten.
»Vielleicht täuscht es sich«, sagte Ifranji halbherzig.
»Wenn wir anfangen, uns darüber den Kopf zu zerbrechen«, sagte Sabatea, »müssten wir unseren ganzen Weg hierher in Frage stellen.«
»Du glaubst, wir müssen dort hinunter?«, fragte Tarik.
»Ich glaube«, antwortete sie leise, »dass wir dem Elfenbeinpferd vertrauen können. Möglicherweise gibt es noch eine andere Erklärung für das alles hier.«
Tarik wartete ab. Ließ ihr Zeit, sich die Worte zurechtzulegen. Seit Tagen hatte er sich nicht mehr in Samarkands schäbige Tavernen zurückgewünscht, aber jetzt war es beinahe so weit. Er vermisste nicht den Wein, nicht das laute Geprahle, erst recht nicht die maskenhaften Tänzerinnen. Nur die Gewissheit, dass morgen noch alles so sein würde wie heute. Hier draußen hatte er allmählich Zweifel daran, und ihm dämmerte, dass Sabatea auf etwas ganz Ähnliches hinauswollte.
»Könnte es daran liegen, dass wir nicht genug daran glauben?«, schlug sie vor. »Khalis, du hast gesagt, nur derjenige kann Skarabapur erreichen, der mit aller Überzeugung glaubt, dass er es auch finden kann. Alle anderen ziehen mitten hindurch, ohne es überhaupt wahrzunehmen. Richtig?«
Der Magier nickte.
»Das da vorn, diese Leere… «, fuhr sie fort, »… könnte sie demnach bedeuten, dass wir nicht überzeugt genug sind? Dass wir es nicht sehen können, es aber trotzdem da draußen existiert? Und die Magie des Pferdes eben doch nicht ausreicht, uns dorthin zu bringen?«
Der Byzantiner hob eine Augenbraue. »Du meinst, diesen Abgrund gibt es gar nicht?« Er lachte abfällig. »Mach einen Schritt über die Kante, um uns deine Theorie zu beweisen, Giftprinzessin.«
Tarik atmete scharf ein. Sabateas weißgraue Augen funkelten böse, doch Khalis ging dazwischen: »Kein dummer Gedanke, Emirstochter. Aber es gibt etwas, das dagegenspricht. Nachtgesicht, du hast gesagt, eigentlich müsstest du diese Gegend kennen, nicht wahr? Und dass es hier früher weder das Glas, noch diesen Abgrund gegeben hat.«
Der Schwarze zögerte einen Moment. »Ja«, sagte er dann, »ich bin ziemlich sicher, dass wir eigentlich ganz woanders sein müssten. Oder besser: dass es hier anders aussehen müsste.«
»Das heißt«, sagte Khalis, »wir sind längst Zeugen einer Veränderung geworden. Wenn man hier wirklich etwas sehen kann, was für andere nicht existiert, dann stecken wir bereits mittendrin. Das alles hier ist bereits ein Teil von Skarabapur.«
»Was ist mit den Dschinnen?«, warf Almarik ein. »Sie haben Skarabapur schon lange vor uns erreicht, habt ihr gesagt. Also müssen auch sie fest an seine Existenz geglaubt haben. Sonst hätten sie es nicht finden können.«
Khalis nickte. »Wir haben gesehen, woher die Glasscholle stammt, mit der sie unterwegs nach Bagdad sind. Sie sind also hier gewesen. Und falls es wahr ist, was der Ifrit gesagt hat… falls sie den Dritten Wunsch wirklich in Skarabapur aufbewahren und auf seinen Einsatz vorbereiten… dann sind wir ihm hier so nah wie nie zuvor.«
»Was uns nicht dabei hilft, diesen Abgrund zu überqueren.« Tarik machte keinen Hehl daraus, dass ihn all diese Theorien ernüchterten. Er hatte sich damit abgefunden, dass die Welt, in der er lebte, nur in einer Flasche existierte, irgendwo am Meeresgrund einer anderen Welt – aber damit war sein Vorrat an Vorstellungskraft allmählich aufgebraucht. Städte, die für manche existierten und für andere nicht, gingen über das hinaus, was er akzeptieren wollte. Er hatte sich auf den Weg gemacht, weil er es für möglich gehalten hatte, Skarabapur zu erreichen. Doch je näher sie dem Ort hätten kommen müssen, desto ferner erschien er ihm. Statt wahrhaftig zu werden, eine Silhouette am Horizont, schien sich Skarabapur von Tag zu Tag mehr in ein Hirngespinst zu verwandeln. Wie eine Fata Morgana, die aus der Ferne greifbar erschien, im Näherkommen aber immer unwirklicher wurde. Und vielleicht war Skarabapur ja genau das: Eine Fata Morgana
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