Sturmkönige 03 - Glutsand
Eingeständnis von Bewunderung für das Wagnis, das Sabatea auf sich nahm. Almarik war ein tapferer Mann, das stand außer Frage, aber er war nicht lebensmüde; er hatte Sabatea davon abgeraten, allein hinaus in die Leere zu fliegen – falls sie sich nicht, wie er anmerkte, schon beim Aufsteigen auf das Elfenbeinpferd den Hals brechen würde. Doch er hatte sie auch kein zweites Mal gewarnt, dafür interessierte ihn zu sehr, wie der Versuch wohl enden mochte.
Was den beiden anderen Männern an Mitgefühl abging, stellte Nachtgesicht umso offener zur Schau. Schweißperlen glitzerten auf seinem kahlen Schädel. Er schien Sabatea folgen zu wollen, um sie festzuhalten und so lange zu schütteln, bis sie Vernunft annähme. Abgesehen von Tarik war er der Einzige in der Gruppe, den Sabatea einen Freund genannt hätte. Er hatte sie von Anfang an gemocht und selbst dann noch gegen die Schwestern der Pfauen verteidigt, als Sabateas giftiges Blut eine der Diebinnen umgebracht hatte.
Schließlich war da Ifranji, die in Bagdad mehr als einmal darauf bestanden hatte, Sabatea und Tarik zu töten. Tatsächlich war sie nicht halb so bösartig, wie sie sich gern gebärdete. Aber es wäre ein Fehler gewesen, sie zu unterschätzen. Falls es zu einem offenen Konflikt zwischen Tarik auf der einen Seite und Khalis und Almarik auf der anderen kommen würde, mochte Ifranji mit ihrer Flinkheit und ihrem Geschick mit dem Dolch zum Zünglein an der Waage werden. Sie wusste, dass sie für den Magier und seinen Leibwächter entbehrlich war, ein unerwünschtes Anhängsel ihres Bruders, auf dessen Begleitung wiederum nur Tarik beharrt hatte. Ganz sicher wog sie ihre Haltung zu Sabateas Vorhaben nach reinem Kalkül ab. Falls Sabatea etwas zustieß, dann bedeutete das für Ifranji eine Person weniger, die im Zweifelsfall ihre Partei ergreifen würde. Das machte ihr zu schaffen und nicht etwa die Sorge um Sabateas Wohlergehen. Dass die beiden sich nicht mochten, hatte nie außer Frage gestanden. Aber jetzt standen sie auf derselben Seite, ob es ihnen gefiel oder nicht.
Sabatea war noch fünf Schritt von dem Zauberpferd entfernt, als es mit einem Mal seine Schwingen spreizte. Die weißen Federn sträubten sich gegen die Winde aus dem Abgrund, das Rascheln wehte bis zu Tarik und den anderen herüber. Doch statt sich vom Boden abzustoßen und die Flucht zu ergreifen, deutete das Pferd mit der Flügelspitze in Sabateas Richtung.
Tarik hatte selbst schon einmal versucht, sich dem Elfenbeinpferd zu nähern, auf dem Dach von Kabirs Knüpferwerkstatt. Es hatte ihn einige Schritte herankommen lassen und sich dann verängstigt zurückgezogen. Jetzt aber gab es kein nervöses Scharren mit den Hufen, kein aufgeregtes Klicken und Rasseln der Mechanismen im Inneren des Wesens. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, dass Sabatea es schaffen könnte.
Das Pferd stand mit der Flanke zu ihr, parallel zur Glaskante, keine drei Schritt vom Abgrund entfernt. Es hielt die Flügel jetzt weit geöffnet, waagerecht vom Körper abgespreizt. Sabatea streckte eine Hand aus und berührte sanft den Rand des Gefieders.
Das Pferd stieß ein leises Schnarren aus. Als ein Magier die Elfenbeinrösser vor langer Zeit im Auftrag des Sultans von Basra erschaffen hatte, hatte er ihr Äußeres einem prächtigen Schimmel nachempfunden – allein die Schwingen und klobigen Beingelenke verrieten äußerlich, dass dies kein gewöhnliches Pferd war. Die Laute aber, die es von sich gab, ähnelten einem Vogelgurren, durchmischt mit mechanischem Rasseln. Nur selten klang die Spur eines Wieherns durch.
Sabatea lächelte. Tarik konnte von hinten ihr Gesicht nicht sehen, aber er bemerkte es an ihrer Haltung. Schmerzlich wurde ihm bewusst, wie gut er sie mittlerweile kannte. Ihre Bewegungen wurden fließender, ihr Gebaren weniger angespannt, wenn sich ein Lächeln auf ihre Züge legte. Es versetzte ihm einen Stich, dass er sie in diesem Augenblick nicht anschauen konnte – als würde er sie niemals wieder so sehen können.
Sehr langsam ging sie an der Vorderseite der gespreizten Schwinge entlang, ließ die Fingerspitzen über das Gefieder gleiten. Das Pferd beobachtete sie dabei. Wind spielte in seiner langen weißen Mähne. Nun hob es doch noch einen Vorderhuf, nur um eine Winzigkeit, und rieb damit einmal kurz über das Glas.
Niemand war einem Elfenbeinpferd je so nahe gekommen. Was dort vorn geschah war der größte Vertrauensbeweis, den eines der scheuen Wesen jemals einem Menschen
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