Sturmkönige 03 - Glutsand
ersten Blick nicht zu sagen vermochte, ob es sich um Männer oder Frauen handelte.
Ein hastiger Blick nach oben in den Nachthimmel. Sein Teppich schoss reiterlos über das Gehege am Fuß der Zikkuratruine hinweg, brach durch die schwarzen Rauchsäulen der Feuerbecken außerhalb der Mauern und raste in westlicher Richtung aus seinem Blickfeld. Junis kam nicht mehr dazu, ihm in Gedanken Glück zu wünschen. Seine Aufmerksamkeit wurde von dem Schwarm Dschinnkrieger abgelenkt, der am Flussufer seine Verfolgung aufgenommen hatte und jetzt unmittelbar hinter dem Teppich heranschwirrte. Die meisten der Krieger hatten gesehen, dass er abgesprungen war. Sie wussten, dass er hier unten war, irgendwo zwischen den tobenden Gefangenen. Einige verfolgten weiterhin den leeren Teppich; die anderen aber schwärmten über dem Gehege aus und suchten ihn von oben aus unter den abgerissenen Gestalten am Boden.
Er machte sich nichts vor. Wenn ihn die Besessenen nicht in Stücke rissen, würden es die Dschinne tun. Er blieb eng an der Ziegelmauer stehen, zerrte das Schwert aus der Scheide, hielt es aber noch gesenkt und verbarg es zwischen seinem Bein und der Wand, damit die Klinge nicht alle Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Die Frauen und Männer innerhalb des Geheges – eines von vielen, die er aus der Luft am Fuß der Zikkurat gesehen hatte, und nicht einmal das größte – waren außer sich, kämpften miteinander, rissen sich in Raserei die letzten Stofffetzen vom Leib, kratzten und bissen sich selbst. Was immer die Dschinne ihnen in den Pferchen der Hängenden Städte und den anderen Lagern angetan hatten, hatte die Lust an der Gewalt zu ihrem bestimmenden Wesenszug gemacht. Die Sturmkönige hatten Versuche angestellt, einige der Wahnsinnigen zu heilen; zuletzt aber waren sie zu dem Schluss gekommen, dass ihr Verstand verloren war, der Bann der Dschinnmagie zu machtvoll. Sie waren zum Bersten erfüllt mit Aggression, die sich gegen alles und jeden richtete.
Nur nicht gegen die Dschinne. Die Gefangenen griffen weder die Krieger an den Durchgängen der Mauern an, noch machten sie mehr als halbherzige Versuche, nach einem der fliegenden Dschinne über ihren Köpfen zu greifen. Stattdessen gingen sie aufeinander los, jetzt erst recht, da sie die Aufregung spürten, die Junis’ Auftauchen verursacht hatte. Die wenigsten von ihnen waren kräftig genug, um ihm gefährlich zu werden. In der Masse aber waren sie mörderisch. Drei oder vier von ihnen, die sich gleichzeitig auf ihn stürzten, wären sein sicherer Tod gewesen.
Junis hatte die Faust so fest um den Schwertgriff geklammert, dass er Hand und Waffe kaum noch spürte. Beides wurde zu einem diffusen Druck an seinem rechten Arm. Sein Atem war kurz und rasend schnell, sein Herz hämmerte im Stakkato. Überall um ihn rangen besessene Menschen miteinander, manche keine zwei Schritt entfernt. Er roch ihren grauenvollen Gestank, den Schmutz, die offenen Wunden und Entzündungen. Er hörte die unartikulierten Laute wie von Tieren, das schmerzerfüllte Heulen, wenn eine Verletzung zu stark war und ihre Pein durch den Schild aus Irrsinn drang.
Aber niemand griff ihn an. Manch einer warf ihm einen Blick aus feuerroten oder geschwollenen Augen zu, zwei-, dreimal machte auch jemand Anstalten, auf ihn loszugehen. Doch bevor sich die Rasenden auf ihn werfen konnten, hielt etwas sie auf, als würden sie an einer unsichtbaren Leine zurückgerissen, um sich statt seiner auf einen anderen Gefangenen zu stürzen.
Es war der Gestank, der ihn umgab, auf seine Weise ebenso entsetzlich wie ihr eigener. Er trug noch immer die Dschinnhäute am Körper, mehrere Lappen verschnürt um die Oberschenkel, den dritten wie eine grob geschneiderte Weste um Schultern und Brust. Die Frauen und Männer, die seit Jahren von den Dschinnen gequält wurden, fürchteten diesen Gestank. Sie besaßen nicht mehr genug Verstand, um unterscheiden zu können zwischen einem Dschinn und einem Menschen, der roch wie ein Dschinn. Der Gestank ließ sie zurückweichen, so wie er sie von ihren Peinigern an den Ausgängen fernhielt.
Je größer aber der Abstand zwischen ihm und den Besessenen wurde, desto schneller würden die Dschinne in der Luft auf ihn aufmerksam werden. Sie kreisten noch immer dort oben in der Nacht und leuchteten mit Fackeln auf die tobende Meute im Gehege herab. Im spärlichen Feuerschein musste ein Gesicht aussehen wie das andere. Viele Menschen waren nackt, einige in Lumpen gekleidet. Alle trugen Krusten aus
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