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Sturmkönige 03 - Glutsand

Sturmkönige 03 - Glutsand

Titel: Sturmkönige 03 - Glutsand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Dreck und Schorf am Leib. Falls sie nicht begannen, jeden Gefangenen im Gehege einzeln zu untersuchen, würden sie ihn inmitten dieser von Schmutz starrenden, stinkenden, randalierenden Menge kaum ausfindig machen können.
    Angestrengt schaute er sich um und versuchte, Einzelheiten seiner Umgebung zu erkennen. Überall wurde gekämpft, getobt und geschrien. Das Fackellicht von oben erhellte nur Köpfe, reichte aber durch all das Gewimmel kaum bis zum Boden. An manchen Stellen lagen Körper im Sand, schwarze Umrisse, bewusstlos oder tot, die von den anderen achtlos getreten und zertrampelt wurden.
    Er versuchte, sich an den Anblick aus dem Himmel zu erinnern: ein Labyrinth aus Mauerresten, das sich in einem Halbkreis um den Fuß der Zikkuratruine zog, verschachtelt, teils eingestürzt. Unmöglich zu sagen, wo genau er sich befand und ob hinter der Wand oder dem nächsten Ausgang die offene Wüste mit dem Dschinnlager oder nur ein weiterer überfüllter Pferch lag. Vor seinem Absprung vom Teppich war ihm keine Zeit geblieben, sein Vorgehen zu planen. Er wusste nur, dass er ins Innere der Zikkurat gelangen musste, hinauf in eines der oberen Stockwerke, wo er die Dschinnfürsten und den gefangenen Jibril vermutete.
    Seine Augen bekamen keine Möglichkeit, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, weil der umherhuschende Fackelschein an immer neuen Stellen Lichtinseln schuf oder ganze Armeen von Schatten an Mauern und Boden aufmarschieren ließ. Hin und wieder aber sah er durch Lücken zwischen den taumelnden, raufenden, wirbelnden Umrissen einzelne Menschen an den Mauern sitzen, die Knie angezogen, die Arme über den Köpfen verschränkt, als besäßen sie noch genug Vernunft, oder auch nur Verzweiflung, sich nicht von dem wahnhaften Treiben der anderen anstecken zu lassen.
    Gab es hier noch weitere wie ihn? Menschen, deren Verstand in den Pferchen nicht vollständig ausgelöscht worden war? Die sich wie er zwischen all den Besessenen verbargen, weil dies weit und breit der einzige Ort war, an dem ein Mensch keine Aufmerksamkeit auf sich zog?
    Er wagte nicht, das Schwert des Byzantiners in der Scheide verschwinden zu lassen, obwohl es weiterhin die Gefahr einer Entdeckung barg. Stattdessen presste er es eng an seinen Körper und schob sich mit dem Rücken zur Wand an der Lehmziegelmauer entlang, ganz langsam auf eine der sitzenden Gestalten zu.
    Er suchte in sich nach Mitleid für diese Menschen, die von den Dschinnen hunderte Kilometer weit durch die Salzwüste Kavir und über die Zagrosberge nach Bagdad getrieben worden waren. Tausende waren tot auf dem Weg zurückgeblieben. Er hatte mit eigenen Augen die Spur aus Leichen erblickt, die sie auf dem Weg durchs Gebirge hinterlassen hatten. Und dennoch sah er sie im Augenblick nur als Gefahr, als Gegner. Es schmerzte ihn zu erkennen, dass Jibril bei ihrem Streit um das Schicksal der Sklaven Recht behalten hatte: Das waren keine Menschen mehr, nicht einmal Tiere. Sie waren hirnlose Waffen der Dschinne geworden, nur mit Gewalt und Schmerz unter Kontrolle zu halten.
    Vorsichtig näherte er sich einer der sitzenden Gestalten am Fuß der Mauer. Über dem Gehege kreisten noch immer Dschinne, aber sie waren weniger geworden. Wahrscheinlich hielten sie ihn bereits für tot.
    Noch einen Schritt bis zu dem Mann, der vor ihm an der Wand kauerte. Er war so mager wie alle anderen, aber er trug noch Kleidung am Leib, als hätte er sorgfältiger darauf Acht gegeben. Dort aber, wo seine Haut unbedeckt war, hatte die Wüstensonne sie mit blasigen Verbrennungen entstellt. Viele mussten an der erbarmungslosen Sonne zugrunde gegangen sein. Dazu noch der Durst, die karge Nahrung. Dann die Tobsuchtsanfälle der anderen Gefangenen, die Schläge der Dschinne. Es war ein Wunder, dass es überhaupt jemand lebend bis hierher geschafft hatte, erst recht so viele.
    Junis ließ sich langsam mit dem Rücken zur Wand nach unten sinken. Er setzte sich nicht, sondern kauerte sich in die Hocke, um rasch aufspringen zu können. Er war jetzt genau neben dem sitzenden Mann, der durch nichts verriet, dass er seine Nähe wahrgenommen hatte. Der Gefangene hielt das Gesicht zwischen den angezogenen Knien verborgen, die Hände über dem Kopf verschränkt, als wollte er alles ausblenden, das um ihn herum geschah.
    »Allah ist groß«, flüsterte Junis, »und wir sind seine Diener.«
    Der Mann bewegte sich nicht.
    Junis erwog, eine Hand nach ihm auszustrecken. Aber dazu hätte er das Schwert loslassen müssen. Das Risiko

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