Sturmkönige 03 - Glutsand
an seiner Stelle hätte keine Sekunde gezögert.
Aber er war nicht Tarik. Er brachte es nicht über sich, Unschuldige zu erschlagen, um die eigene Haut zu retten.
Während er noch dastand und abwog, was er tun sollte, entdeckte er sie. Eine Gestalt huschte hinter ihm um die Biegung des Ringkorridors.
Der Umriss, der ihm da im Dunkeln nachstolperte, keuchte leise, ein helles Hecheln wie von einem Hund. Ganz kurz war er auf den Gedanken gekommen, es könnte der Mann aus dem Gehege sein, der dagesessen und ihn angestarrt hatte. Aber die Geräusche passten nicht zu ihm. Zu hell, zu jung. Zu weiblich.
Sie blieb stehen, als er aus dem Schatten trat und ihr mit dem Schwert in der Hand den Weg versperrte. Sie lief nicht davon – sie hatte schon Schlimmeres gesehen als einen schmutzigen Kerl in Dschinnhäuten. Sie sprang nur in eine Art Abwehrstellung und ballte die kleinen Fäuste, während ihr rasender Atem noch ein wenig schneller wurde – und abbrach.
»Wer bist du?«, flüsterte sie mit Kinderstimme.
Im Dunkeln konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Nur die verklebten Haarsträhnen, die teils an ihren Schultern hafteten, teils dreckverkrustet vom Kopf abstanden. Sie war schmal, abgemagert wie alle Gefangenen der Dschinne.
»Verschwinde«, sagte er leise.
»Was tust du hier?«
»Geh zurück ins Freie.«
Sie versteifte sich noch ein wenig mehr. Irgendein Akzent lag in ihrer Stimme, vielleicht ein Nomadendialekt aus der Lut-Wüste im Südosten, südlicher noch als die Salzhölle der Kavir. Früher hatte dort ein zähes Volk gelebt. Früher – vor dem Ausbruch der Wilden Magie, vor dem Dschinnkrieg. Falls die Kleine wirklich eine dieser Nomadinnen war, dann war ihr Stamm seit Jahrzehnten so gut wie ausgerottet.
»Ich geh da nicht raus«, flüsterte sie entschieden. »Ganz bestimmt nicht. Ich nicht.«
»Wie du willst. Aber halt dich von mir fern.« Er drehte sich um und wollte weitergehen, als er erneut ihre Schritte hinter sich hörte. Nur ein ganz leises Scharren ihrer nackten Füße auf Sand und Geröll.
Erneut blieb er stehen. »Du verstehst doch meine Sprache? Hau ab!«
»Bin keine von denen. Ich bin nicht leer wie die.« Sie musste eine der anderen sitzenden Gestalten gewesen sein, zusammengekauert am Fuß der Gehegemauern. »Ich hab dich gesehen«, sagte sie. »Du hast den Dschinn getötet.«
»Und?«
»Du hast mit Hamidala gesprochen.«
»Wer ist das?«
»Hamidala. Der dich festgehalten hat. Er ist einer von uns. So was wie unser Ältester.«
Er musste weiter, musste Jibril finden. Ein Kind als Klotz am Bein war das Letzte, was er gebrauchen konnte. Trotzdem machte er neugierig zwei Schritte zurück in ihre Richtung und bedeutete ihr mit einem Wink, enger an die Innenwand des Ringkorridors zu treten. »Wie habt ihr überlebt?«, flüsterte er.
»Den Kopf einziehen. Wie die anderen sein, wenn es drauf ankommt. Aber die meiste Zeit über den Mund halten, marschieren, so tun, als sei da nichts sonst um einen rum. Einfach immer weitergehen, über das Salz und die Berge. Trinken, wenn was da ist. Essen, was immer man vor sich am Boden findet.«
Er konnte sie noch immer nicht deutlich sehen, nur ihren Umriss und ein Schimmern, wo ihre Augen sein mussten. »Wie alt bist du?«
»Weiß nicht.«
»Wie lange warst du bei ihnen?«
»Bei den Dschinnen? Immer. Bin im Lager geboren.«
Er schwieg und versuchte nachzudenken, aber es kam nicht viel dabei heraus, weil er es so verflucht eilig hatte und sie ihn nur aufhielt und das alles hier eigentlich zu gar nichts führte. Aber seine Neugier wurde nur noch größer. Das war schon immer eine seiner Schwächen gewesen. Damals, als er die Kiste in Tariks Quartier geöffnet und das Geld und die Landkarten ihres Vaters gefunden hatte. Und später, als Sabatea bei ihm aufgetaucht und sich ihm angeboten hatte.
»Wie ist dein Name?«
»Kind.« Das klang sehr selbstverständlich.
»So hat deine Mutter dich genannt?«
»Die ist tot. Kenn sie gar nicht. Die anderen haben mich so genannt. Kind, haben sie gesagt, sei still und rühr dich nicht, wenn die Dschinne kommen. Mehr muss man nicht lernen im Lager. Still sein und stillhalten.«
»Warum seid ihr nicht wie der Rest, du und dieser Hamidala?«
»Bei uns hat er nicht gewirkt. Der Dschinnzauber, der die anderen leer macht.« Sie deutete an ihre Schläfen. »Leer im Kopf, weißt du? Bei uns ist gar nichts passiert. Aber die Dschinne haben’s nicht gemerkt. Dachten, wir sind leer.«
Er musste sie loswerden, bevor
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