Sturms Flug
Passagiere bedeckt. Sogar über dem Geländer hingen Kleidungsstücke, die locker festgeknotet waren, damit sie nicht davonflogen.
Binnen weniger Augenblicke begann Bernd, fürchterlich zu frieren. Ein eisiger Wind jagte schiefergraue Wolken über den Horizont. In der Ferne sah er den Tower, und er fragte sich, was man dort für die Rettung der Geiseln tat. Bisher kam er sich ziemlich im Stich gelassen vor.
Ernestine stand auf der Stufe unter ihm. Eine Bö zerrte an ihren Haaren, und der Geruch ihres Shampoos stieg ihm in die Nase. Apfel. Auch Tamaras Haar hatte nach Apfel geduftet.
Doch dann war es mit dem Apfelaroma vorbei. Stattdessen nahm er den Gestank von Benzin wahr.
Im nächsten Moment zuckte er zusammen, als etwas Kaltes, Nasses in seinen Nacken klatschte.
Dann war Asad hinter ihm, mit einem der vielen Kanister in den Händen, die vor Stundenfrist gebracht worden waren. Hassan und einer der beiden Kerle, die sich im Heck der Maschine aufhielten, hatten die Kanister die Gangway hinaufgeschleppt, um sie in der Bordküche zu lagern. Genau wie den Geldkoffer, dessen Inhalt sie noch verrückter gemacht hatte, als sie ohnehin schon waren.
Bernd wurde mit Benzin übergossen, bis er troff. Ernestine erging es nicht besser, und dann wurde die gesamte Gangway regelrecht geflutet, der Kleiderberg wurde eingeweicht, während auf jeder dritten oder vierten Stufe ein halb voller Kanister abgestellt wurde, und zwar mit aufgeschraubtem Deckel.
Ein bösartiges Fauchen erklang, gleichzeitig wurde die gesamte Umgebung in gleißendes Licht getaucht. Der Schein war so hell, dass plötzlich alles weiß aussah.
Bernd wagte es nicht, sich umzudrehen, da er eine schreckliche Ahnung hatte, was dieses Fauchen und das Licht verursachte. Seine Augen brannten, seine Haut ebenso, und die Benzindämpfe machten ihm das Atmen schwer. Schwindelgefühl drohte ihn zu übermannen.
Asads Gesicht tauchte neben seinem Ohr auf. »Keine Dummheiten, ihr beiden Turteltäubchen«, flüsterte er. »Andernfalls wird Hassan die Magnesiumfackel fallen lassen, die er in der Hand hält.«
Bernd kannte Magnesiumfackeln aus seiner Zeit bei der Bundeswehr. Es war unglaublich, mit welch überflüssigen Dingen man es dort zu tun bekam. Maschinenpistolen und Magnesiumfackeln. Letztere waren höllisch, kaum größer als eine 0,5-Literdose Cola, doch dafür brannten sie fast zwanzig Minuten lang mit einer 1.500 Grad heißen Flamme. Außerdem konnten sie nicht gelöscht werden, weshalb sie sogar bei Taucheinsätzen verwendet wurden. Wenn Hassan die Fackel auf die Gangway warf, würde er damit eine Feuersbrunst heraufbeschwören.
»Hast du schon einmal brennendes Menschenfleisch gerochen?«, flüsterte Asad.
Bernd war nicht in der Lage zu antworten.
»Ich schon«, erklärte der Somalier. Er lachte kehlig. »Es ist grauenhaft. Allein die Vorstellung … Deshalb wird es kein Polizist auf der Welt wagen, uns anzugreifen, solange ihr beide hier draußen steht. Ich wette, dass in diesem Moment mindestens ein Dutzend Ferngläser auf euch gerichtet sind. Sicher, im Flugzeug befinden sich noch genug andere Geiseln, doch welche Regierung schert sich um drei oder vier Opfer, wenn es darum geht, die bösen Erpresser zu überwältigen? Keine, Schwuchtel, keine! Ein paar Verluste werden ohne Wimpernzucken in Kauf genommen, wenn man hinterher nur genug Gerettete präsentieren kann. Doch zwei Menschen brennen zu lassen …« Er kicherte. »Undenkbar. Man würde den Verantwortlichen in der Luft zerreißen. Ich werde also jetzt wieder ins Flugzeug gehen und in aller Ruhe auf die Ankunft meines Bruders warten. Ich hoffe, es wird euch bis dahin nicht allzu langweilig. Schau nur, da kommt auch schon mein Tankwagen gefahren, damit ich genug Kerosin bekomme für den Rückflug. Heute ist ein herrlicher Tag.«
Er schlenderte davon.
Zurück blieben der Gestank von Benzin und das Fauchen der Fackel.
Kapitel 38
Noch 19 Minuten bis zur Stürmung von Flug SWX 714
Mara betrachtete die Härchen auf ihren nackten Oberschenkeln, die sich aufgerichtet hatten. Auch auf ihren Armen war eine Gänsehaut zu sehen und ebenso auf ihrem Dekolleté. Ihr ganzer Körper war damit bedeckt, ihre Zähne klapperten, und sie fror erbärmlich. Kein Wunder, denn sie trug nichts als einen Badeanzug in knallbunten Farben, der ihr zudem mindestens zwei Nummern zu klein war, während sie auf einem offenen Gepäckwagen hockte, der über das Rollfeld rumpelte. Sie wusste nicht, wer von Grillos Leuten den
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