Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
Vom Netzwerk:
indem sie sich einredete, dass sie in Asads rachsüchtigem Kopf als Frau mit langem kastanienfarbenem Haar abgespeichert war. Vielleicht zögerte dieser Umstand das Erkennen hinaus.
    Der Geiselnehmer erreichte die unterste Stufe der Gangway, kam auf die drei frierenden Rosafüßler zu, von denen zwei auf und ab hüpften, mit den Armen schlackerten und sich in die Hände hauchten.
    Der dritte stand stocksteif da und betete, nicht erkannt zu werden.
    Dann wurde es schlagartig düster. Sie ordnete ihre Gedanken und begriff, dass es nicht wirklich dunkel geworden war, sondern dass lediglich der grelle Schein fehlte, der bisher die gesamte Umgebung mit seinem Licht überflutet hatte. Als sich ihre Augen an die neuen Verhältnisse gewöhnt hatten, blinzelte sie zum Einstieg des Flugzeugs empor. Dort stand ein Schwarzafrikaner, der eine abgebrannte Signalfackel in der Hand hielt. Geschwind ersetzte er sie durch eine neue, die mit lautem Zischen zündete. Wieder wurde es hell. Fast gleichzeitig wehte der Wind eine bestialisch stinkende Benzinwolke heran.
    Ihr stockte der Atem, denn in der kurzen Phase natürlichen Lichtes, das zwischen dem Abbrennen der beiden Fackeln herrschte, erkannte sie eine der beiden Gestalten, die in der Mitte der Gangway standen.
    Diese Gestalt war ein Mann, ein gut aussehender Kerl mit freundlichem Gesicht, der intelligent und schüchtern wirkte und melancholisch und sympathisch und irgendwie verloren. Er war triefnass. Sie rechnete zwei und zwei zusammen und kam zu dem Schluss, dass man ihn mit Benzin übergossen hatte und dass der Fackelträger ihn ohne zu zögern ins Jenseits schicken würde, wenn er Gefahr witterte.
    Das versetzte ihr einen Stich ins Herz, denn der freundliche, intelligente, schüchterne, melancholische, sympathische, verlorene Mann war derjenige, den sie liebte.

Kapitel 39
    Mara war eine abgerissene Fremde, noch dazu eine Weiße, die an ein leeres Ölfass geklammert auf den Strand gespült worden war. Trotzdem nahmen der somalische Fischer und seine Familie sie auf, als wäre sie ein lang erwarteter, liebenswerter Gast, dem man jeden Wunsch erfüllen müsste.
    In den zwei Wochen, die sie bei dem Fischer und den Seinen verbrachte, lernte sie, was Nächstenliebe war. Der zahnlose Somali, Ibrahim, und seine Frau, Aynan, hatten nichts außer einer Wellblechhütte als Behausung, einem alten Boot mit Netzen, die täglich geflickt werden mussten, sowie einem ganzen Stall von Kindern und Ziegen, wobei Erstere natürlich nicht wirklich im Stall lebten, sondern auf dem Fußboden der Wellblechhütte schliefen. Dieser bestand aus festgestampftem Lehm und war mit Teppichen ausgelegt, die eigentlich auf den Müll gehört hätten. Doch für Ibrahim und seine Familie waren sie von großem Wert, nicht zuletzt deshalb, weil darauf fünfmal täglich zum Gebet niedergekniet wurde. Bei Sonnenaufgang, mittags, nachmittags, wenn die Sonne als glutroter Feuerball am Horizont versank und ein letztes Mal wenige Stunden danach.
    Die Somalis teilten alles mit Mara, obwohl sie selbst kaum genug zum Leben hatten: Ziegenmilch, Fisch aus eigenem Fang sowie Hirsebrei, der meist kalt hinuntergeschlungen wurde. Und menschliche Wärme und Herzlichkeit.
    Eines Abends kümmerte sich Aynan um ihre ramponierte Frisur, die sie mit einer rostfleckigen Schere in eine halbwegs annehmbare Form brachte. Mara betrachtete das Ergebnis in dem abmontierten Außenspiegel eines Lkw, der für die Familie als Badezimmerspiegel diente, wobei das Badezimmer aus einer separaten Blechhütte und zwei Eimern bestand, einer zum Waschen, einer für die Notdurft.
    Am dreizehnten Tag ihres Aufenthaltes versuchte sie Ibrahim klarzumachen, dass sie die deutsche Botschaft in Mogadischu erreichen musste. Er verstand natürlich weder Deutsch noch Englisch und sie kein Somali oder Arabisch oder was auch immer das für ein Dialekt sein mochte, der in dieser Region gesprochen wurde. Deshalb waren Hände und Füße und in den Sand gemalte Zeichnungen und Pantomime notwendig, um ihm mitzuteilen, dass sie am nächsten Tag nach Mogadischu aufbrechen wollte. Seine Reaktion war genauso unerwartet wie erstaunlich: Er war traurig. Das galt auch für Aynan, die ihren Kummer hinter einer beleidigten Miene verbarg. Die beiden gaben ihr zu verstehen, dass sie in Mogadischu keinen Tag überleben würde. Zudem sei es viel zu weit entfernt.
    Also brachte Ibrahim sie am nächsten Morgen nach Boosaaso. Dazu musste sie sich auf den Gepäckträger seines

Weitere Kostenlose Bücher