Sturms Flug
heimliche.«
Bernd registrierte, dass sich die Kerle in ihrem Siegestaumel kaum noch darum kümmerten, was außerhalb des Flugzeuges passierte. Sie hatten den vorderen Ausstieg geöffnet, an den mittlerweile die Gangway herangeschoben worden war, und von seinem Platz auf dem Fußboden warf Hassan hin und wieder einen Blick hinaus, doch ansonsten herrschte kollektive Unaufmerksamkeit. Das galt auch für die Kidnapper im Heck der Maschine, die schon seit geraumer Zeit um die Wette sangen und johlten. Zuvor hatten sie sogar einen Tanz aufgeführt, den Mittelgang hinauf und hinunter, bis Asad sie auf ihre Plätze zurückgescheucht hatte.
Das, was sie am meisten begeisterte, war ein großer Alukoffer. Sie hatten ihn in der Bordküche geöffnet, und Bernd hatte gesehen, dass er bis zum Rand mit Geldbündeln gefüllt war.
»Weißt du, warum wir dieses Flugzeug in unsere Gewalt gebracht haben, Schwuchtel?«, fragte Asad unvermittelt.
Bernd schüttelte den Kopf. »Wegen des Geldes in dem Koffer?«, sagte er zögernd.
Der Entführer war vollkommen aufgekratzt. »Ach was, das Geld ist nicht wichtig!«
Wer’s glaubt, wird selig.
»Der Grund ist«, erklärte ihm Asad, »dass wir meinen Bruder befreit haben, der in diesem elenden Land der Spießer und Oberlehrer im Gefängnis sitzt. Ich durfte vorhin mit ihm telefonieren, und er hat mir bestätigt, dass er bereits in dem Auto saß, das ihn hierherbringen soll. Man hat das Auto im letzen Moment gestoppt, um ihn ans Telefon zu holen. Ich nehme an, dass er gleich nach unserem Gespräch wieder eingestiegen ist. Er wird bald hier sein. Und dann werden wir nach Hause fliegen, zusammen mit dem Koffer, in dem sich zehn Millionen befinden.« Er stieß einen gespielten Seufzer aus. »Ah, zehn Millionen! Wie findest du das?«
Bernd schwieg.
»Hast du eine Frau?«, wollte der Entführer wissen.
Bernd zögerte und fragte sich, ob es eine Chance gab, dass Tamara einmal seine Frau wurde. Im Moment war er sich nicht einmal sicher, ob sie jemals seine Freundin werden konnte.
Asad schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Ich Dummkopf, natürlich hast du keine Frau. Wie konnte ich vergessen, dass du Schwuchtel dich nur für deine Geige interessierst und nicht für Titten. Kannst du dir das vorstellen, Hassan, ein Mann, der sich nichts aus Titten macht?«
»Sie sind der widerlichste Drecksack, dem ich je begegnet bin!«, sagte Ernestine plötzlich auf Deutsch. Sie funkelte ihn feindselig an, und obwohl er ihre Worte nicht verstand, konnte er dem Tonfall entnehmen, dass sie ihm keinen Heiratsantrag gemacht hatte.
Bernd blieb fast das Herz stehen, sein Mund wurde trocken.
Asads Kaffeekränzchenlaune verflog von einer Sekunde zur nächsten. »Was hat die Krähe gesagt?«, zischte er. Er gab seine entspannte Sitzposition auf, schnellte in die Höhe. »Was hat dieses verdammte Miststück gesagt?«
»Nichts, Hoheit …«
Eine schallende Ohrfeige ließ Bernds Kopf zur Seite fliegen.
Hassan war ebenfalls aufgestanden. Er glotzte Ernestine an.
»Was sie gesagt hat, will ich wissen!«, wiederholte Asad. Er sah gefährlich aus, doch die nach eigenen Angaben zweitklassige Theaterschauspielerin, die das Rotkäppchen spielte, hielt dem Blick des Verbrechers stand.
Bernd war beeindruckt und schockiert zugleich. »Sie hat darum gebeten«, stammelte er, »dass Ihr Freund aufhören soll, sie anzustarren. Bitte …«
»Völliger Schwachsinn!«, geiferte Asad. Er wirbelte auf dem Absatz herum und wandte sich an Frederieke, von der er wusste, dass sie Deutsch sprach. »Übersetzen! Was hat die Krähe gesagt?«
»Ich … ich habe nicht zugehört«, flüsterte die Stewardess.
Da sprang Ernestine alias Lisbeth Salander von ihrem Sitz auf. Sie kreischte und sah aus, als wolle sie ihm die Augen auskratzen, doch er brachte sie mit einem Fausthieb vor den Solarplexus zum Verstummen. Der Schrei erstarb in ihrer Kehle, dann taumelte sie nach hinten. Sie keuchte, als sie in den Sitz zurücksank.
Hassan wollte sich ausschütten vor Lachen, doch Asad schnauzte ihn an, worauf er in beleidigtes Schweigen verfiel.
Dann wurde die Maschinenpistole mit lautem Ratschen durchgeladen. Zum dritten Mal an diesem abscheulichen Tag sah Bernd die Mündung auf sich gerichtet.
»Raus mit euch!«, befahl Asad.
Gemeint waren Ernestine und er. Sie wurden zum Ausstieg getrieben, mussten die Gangway hinabsteigen und in der Mitte stehen bleiben. Die Stufen waren über und über mit den Jacken und Mänteln der
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