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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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dann auf die mittlere und schließlich auf den Handlauf, der so schmal war, dass sie lediglich mit dem Fußballen und der Fußmitte darauf stehen konnte, während die Zehen in der Luft hingen. Der Handlauf bestand aus Messing und fühlte sich sogar noch kälter an als die Fliesen.
    Nur noch ein winziger Schritt, dachte sie, und alles ist überstanden.
    In diesem Moment wurde sie von einer Windbö erfasst, die sie aus dem Gleichgewicht brachte. Sie stieß einen erschrockenen Schrei aus, schwankte, ruderte wild mit den Armen, um nicht nach vorn zu kippen. Dann verlor sie endgültig das Gleichgewicht, fiel, aber nicht nach vorn, sondern nach hinten. Sie knallte auf die Terrasse, auf den Steiß, was eine Woge des Schmerzes durch ihr Rückgrat jagte. Ein gepeinigter Schrei entstieg ihrer Kehle.
    Auf allen vieren kroch sie zurück in die Wohnung und schaffte es irgendwie, die Tür hinter sich zu schließen. Sie blieb auf dem Teppich liegen, zog die Beine an und umklammerte die Knie mit den Armen. Dreißig Sekunden später war sie in einen zermürbenden Halbschlaf gefallen, der sie im Traum nach Afrika führte.
    Zurück in eine Vergangenheit, die sie schon binnen eines halben Tages wieder einholen sollte.
    Der Geländewagen stoppte abrupt, als der Fahrer in die Eisen stieg. Das war vollkommen idiotisch, denn für eine Gewaltbremsung gab es keinen erkennbaren Grund. Sämtliche Insassen wurden aus den Sitzen gehoben und mussten sich irgendwo festklammern, um nicht zum Spielball der Schwerkraft zu werden. Angeschnallt war niemand, was am Fehlen von Sicherheitsgurten lag.
    Vorne, neben dem Fahrer, saß ein weißer Europäer, dahinter, auf der viel zu schmalen Not-Rücksitzbank, hockten zwei seiner Landsleute, ein Mann und eine Frau. Um die drangvolle Enge perfekt zu machen, hatte sich neben die beiden ein Einheimischer gequetscht, der jedoch offenkundig nicht zu dem Fahrer und seinen Gefährten gehörte.
    Letztere drängten sich wie die Sardinen in der Büchse auf der Ladefläche, die sich an die Rückbank anschloss, insgesamt zwölf junge Männer, obwohl der Platz eigentlich nur für vier oder fünf gereicht hätte. Alle waren bis an die Zähne bewaffnet, und die Frau hielt die Luft an, weil sie erwartete, die Vollbremsung und das damit verbundene Durcheinander aus rudernden Armen und Flüchen und schwitzenden Leibern müsste unweigerlich dazu führen, dass irgendjemand versehentlich den Abzug seiner Waffe betätigte. Doch der befürchtete Schuss blieb aus.
    Wortlos sprang der Fahrer aus dem Wagen. Mit einem Kopfnicken wies er die Meute auf der Ladefläche an, ebenfalls abzusteigen, was in beträchtlicher Lautstärke geschah. Dann verschwand die ganze Bande lärmend zwischen den Bäumen. Jenseits der Wipfel, weit entfernt, war das Rauschen des Meeres zu hören.
    »Und was ist mit uns?«, wandte sich der Mann auf dem Beifahrersitz an den Einheimischen auf der Rückbank.
    Der Name des Fragestellers war Peter Zöllner, seines Zeichens Journalist, der eine Reportage über kriegerische Clans in Afrika machte. Bei den anderen Europäern handelte es sich um seine Mitarbeiter, namentlich um den Kameramann Frank Karpinski sowie die Assistentin Tamara Sturm. Der Vierte im Bunde, der Einheimische, nannte sich Yussuf und fungierte als Führer. Yussuf war unsympathisch, unzuverlässig, und man konnte ihm nicht über den Weg trauen. Doch er hatte den Kontakt mit den Guerillas hergestellt, zum Preis von fünfzig US -Dollar, was für ihn mehr war als ein Monatslohn. Er sprach den Dialekt der Einheimischen und grauenhaft schlechtes Englisch.
    In diesem Englisch radebrechte er: »Sitzen bleiben! Wir nichts tun dürfen, wenn nicht werden gesagt.«
    »Und wie lange gedenkt man, uns in der Sonne schmoren zu lassen?«
    »Nicht lange«, antwortete Yussuf, obwohl er das unmöglich wissen konnte.
    Zöllner stieß einen ungehaltenen Grunzlaut aus, während sich die Assistentin bemühte, den Hund zu bändigen, der bis dahin still auf ihrem Schoß gesessen hatte, doch mittlerweile versuchte, aus dem Wagen zu springen. Sie packte ihn am Halsband. »Ruhig, Bodo!«
    Yussuf warf der Assistentin mit der Töle einen Blick zu, in dem unverhohlene Abscheu lag.
    Endlich kam der Fahrer zurück, begleitet von zwei höchstens sechzehnjährigen Burschen mit Automatikgewehren in den Händen sowie einem Mann, dessen bloßes Gebaren erkennen ließ, dass die anderen nach seiner Pfeife tanzten. Der Kerl sah grotesk aus mit seiner Tarnhose, zu der er ein T-Shirt trug, auf

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