Sturms Flug
zugeschickten Bilder anschauen.
»Was ist hier passiert?«, wollte Zöllner wissen.
»Unfall«, ließ Rashid lapidar übersetzen, ohne eine weitere Erklärung abzugeben.
Plötzlich war weiter vorn ein Wimmern zu hören. Die Journalisten tauschten fragende Blicke, die Guerillas glucksten gehässig. Abermals hielt Rashid eine Erklärung für unnötig und schritt einfach weiter voran. Das Wehklagen wurde lauter, je weiter sie der Piste folgten.
Schließlich kam eine bedauernswerte Gestalt in Sicht, ein kaum zwanzigjähriger Schwarzafrikaner, der unweit des Wegesrandes an einen Baum gefesselt war, und zwar mit Kabelbindern. Genau wie General Rashid und seine Schergen trug er Teile einer Tarnuniform, die er mit zivilen Kleidungsstücken kombiniert hatte. Zwischen den Beinen wies seine Hose einen dunklen Fleck auf, als sichtbares Zeichen dafür, dass er sich eingenässt hatte.
Karpinski hielt sich an seiner Kamera fest wie an einem Rettungsfloß, als er gewahr wurde, was man dem Bedauernswerten angetan hatte. Dann würgte er, und obwohl er in seinem Job sicherlich schon eine Menge abscheulicher Dinge gesehen hatte, erbrach er sich in hohem Bogen.
Mara schnappte entsetzt nach Luft.
»Die Mistkerle haben ihm aus nächster Nähe in die Kniekehlen geschossen«, erklärte Zöllner mit belegter Stimme. »Das führt dazu, dass die Kniescheiben auseinanderfliegen. Kleiner Einschusskanal, riesiges Austrittsloch. Ich habe so etwas schon gesehen, ’94 im Bosnienkrieg. Damals haben die serbischen Tschetniks bei Verhören …« Er verschluckte den Rest des Satzes, weil er einsah, dass es in diesem Moment vollkommen unerheblich war, was die serbischen Tschetniks ’94 getan hatten.
»Wer ist das?«, fragte sie auf Englisch, ohne den Blick von dem Bild des Grauens zu nehmen.
Dort, wo einst die Knie des Opfers gewesen waren, konnte man nur noch matschige Gewebeklumpen erkennen. Der rechte Unterschenkel war beinahe abgerissen und hing an glibberigen Fäden. Überall waren Fliegen, ein Gewimmel von fetten Brummern, die ihre Eier in die Wunde legten.
Diesmal gab Rashid ausführlich Antwort. Die beiden jungen Burschen kicherten, als hätten sie soeben einen Jahrhundertwitz gehört. Mara vermutete, dass man sie mit Drogen vollgepumpt hatte.
Yussuf übersetzte. »Sein Verräter. Wollten überlaufen zu Hussein Ali Said. Doch er geschnappt und bestraft.«
Der angebliche Verräter war derweil ohnmächtig geworden und gab keinen Mucks mehr von sich. Wenn er Glück hatte, würde er die nächste Stunde nicht überleben.
»Warum ihr nicht machen Film?«, übersetzte Yussuf die nächsten Worte des falschen Generals. »Damit alle sehen, was passieren, wenn verraten Prinz Asad!«
Karpinski, der sich inzwischen einigermaßen erholt hatte, warf Zöllner einen fragenden Blick zu, und dieser nickte.
Leise summend trat die Kamera in Aktion.
Derweil überlegte Mara, ob es nicht besser wäre, auf der Stelle kehrtzumachen. Doch das hätten die Guerillas sehr wahrscheinlich nicht zugelassen. Am besten war es, redete sie sich ein, selbstbewusst aufzutreten und keine Angst zu zeigen. Leichter gesagt als getan. Unwillkürlich tastete sie nach dem Springmesser in ihrer Beintasche. Nur mit Mühe widerstand sie dem Impuls, sich einfach in die Büsche zu schlagen und davonzurennen.
Plötzlich rief sie laut und angeekelt: »Bodo! Hör sofort auf damit!«
Durch den Geruch des Blutes angezogen, hatte der Hund die Wunden des Gefesselten beschnuppert. Nun ging er dazu über, sie mit rosiger Zunge abzulecken.
»Bodo! Bei Fuß!«
Rashid und seine Begleiter brachen in schallendes Gelächter aus, als Mara den Vierbeiner am Halsband wegzerrte.
Kurz darauf ließen sie den Ort des Grauens und schließlich auch den Wald hinter sich. Die Vegetation wich einer staubigen Ebene, die in einen kahlen Berghang überging. Links der Piste befand sich ein Dorf. Oder besser gesagt eine Ansammlung von Wellblechhütten, von denen ein unglaublicher Gestank ausging. Nackte Kinder liefen umher und Frauen, die irgendwelche Lasten auf den Köpfen transportierten. Außerdem lungerte eine Schar Bewaffneter herum, faul im Schatten einer besonders großen Wellblechbaracke.
Auf der rechten Seite des Weges, nur ein paar Schritte entfernt, befand sich eine Klippe, die zum Meer hin steil abfiel. Die an ihrem Fuß liegende Bucht schimmerte im Sonnenlicht in allen erdenklichen Blau- und Silbertönen.
»Das sind mindestens dreißig Meter«, bemerkte Zöllner, nachdem er einen Blick über
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