Sturms Flug
wir dich wieder dahin kriegen, wo du gebraucht wirst. Auch der Polizeipräsident kann sich nicht alles herausnehmen. Wäre ja noch schöner. Dich in die Wüste zu schicken und gleichzeitig vorzugeben, du wärst offiziell versetzt worden, das war garantiert nicht rechtens. Dort sollten wir den Hebel ansetzen.«
Mara nickte. Sie freute sich, dass Wolf offenbar vorbehaltlos hinter ihr stand und gewillt war, ihr zu helfen. Und das, obwohl sie ihn um nichts gebeten hatte. Anscheinend konnte er sie besser leiden, als sie gedacht hatte. Sein Verhalten jedenfalls übertraf ihre kühnsten Erwartungen, machte sie jedoch zugleich verlegen. Mit gesenktem Blick rührte sie in ihrer Kaffeetasse herum.
»Gib mir Zeit bis zum Ende der Woche«, verlangte er. »Ich kenne ein paar hochkarätige Leute, mit denen ich mich unterhalten möchte. Bis dahin solltest du die Füße stillhalten. Anschließend sehen wir weiter.«
Sie stierte immer noch wortlos in ihre Tasse. »Danke«, sagte sie schließlich so leise, dass es kaum zu verstehen war. Ihre Stimme klang belegt.
»Nachdem das geklärt ist, will ich wissen, was du sonst noch auf dem Herzen hast.«
»Nichts. Alles gut.«
»Halte mich nicht zum Narren!«, sagte er schroff.
Sie hob den Kopf, und obwohl sie um Fassung kämpfte, konnte Wolf deutlich den feuchten Glanz in ihren Augen sehen. »Ich kann nicht mehr«, flüsterte sie.
»Das sehe ich. Verrätst du mir den Grund?«
»Mein Vater liegt im Sterben. Das habe ich heute Morgen erfahren, und obwohl die Nachricht alles andere als plötzlich kam, setzt sie mir schwer zu.« Sie hielt inne, stürzte hastig einen Schluck Kaffee hinunter. »Mein armer Papa ist nicht das Schlimmste, was momentan in meinem Kopf herumspukt. Er ist fünfundachtzig, war siebenundvierzig, als ich auf die Welt kam. Ich bin ein Unfall gewesen. Bis auf die letzten Jahre hatte er ein gutes Leben.«
»Und was ist das Schlimmste, das momentan in deinem Kopf herumspukt?«
Sie schluckte. Dann vertraute sie ihm das Geheimnis an, das sie Bernd in Kenia verschwiegen hatte.
Kapitel 9
11 Stunden und 48 Minuten vor Entführung des Fluges SWX 714
Anne von Kalck sah noch genauso niedergeschlagen aus wie am Vorabend, nachdem sie gemeinsam mit Mara geweint hatte.
»Du musst sterben?«, fragte sie zum x-ten Mal. Ihre Stimme zitterte, ihr Gesicht spiegelte schiere Verzweiflung wider.
Mara lächelte, doch es war ein erzwungenes Lächeln voll Bitterkeit. »Jeder muss sterben. Das ist das einzig Sichere im Leben.« Sie fragte sich, ob es angemessen war, Gleichmut zu heucheln, wo Verzweiflung hingehörte.
Die Redakteurin hielt ihre Hand. Fieberhaft suchte sie nach Worten des Trostes, nach einer Möglichkeit, ihre Anteilnahme auszudrücken, doch was auch immer sie sich in Gedanken zurechtlegte, erschien ihr bereits abgedroschen, bevor sie es überhaupt ausgesprochen hatte.
Mara sah müde aus, unendlich müde, ihre Wangen waren eingefallen, die Augen gerötet. Kein Wunder, das Todesurteil setzte ihr zu. Doch zumindest verfiel sie nicht in Hysterie.
Der Mann kam schnellen Schrittes herein. Er klatschte in die Hände. »So, die Damen, können wir?« Seine Forschheit wirkte aufgesetzt und passte nicht zur Situation.
Die beiden Angesprochenen nickten. Anne tätschelte ihrer Freundin den Unterarm. »Ich weiß nicht, wie du es schaffst, so tapfer zu sein. Ich hätte dazu nicht die Kraft.«
Worte der Ohnmacht.
»Schön!«, sagte der Mann. »Dann kommen Sie bitte mit, Frau …« Offenbar kannte er nicht einmal den Namen der Todeskandidatin.
Ein letzter hastiger Händedruck, ein letztes gequältes Lächeln, ein letztes Einander-Zunicken. Dann war Mara allein mit dem Kerl im weißen Kittel. Sie folgte ihm in einen Raum mit gekachelten Wänden, der vollkommen steril aussah. In den Ecken stapelten sich Kartons bis unter die Decke, und an den Aufschriften konnte sie erkennen, dass sich darin DVD -Spieler, Plasmafernseher und andere technische Gerätschaften befanden.
Mitten im Raum stand eine merkwürdige Apparatur, die an eine altertümliche Guillotine erinnerte. Irgendwo, ganz weit entfernt, war Musik zu hören.
»So, jetzt bitte hier hinknien.« Der Weißkittel deutete auf den Fuß der Guillotine. »Und den Kopf durch das Loch dort stecken.«
Die Musik wurde lauter, und während er sprach, riss er sich den Kittel vom Leib, sodass sein T-Shirt zum Vorschein kam. Darauf war ein Playboyhase zu sehen. Dann fuchtelte er vor ihrem Gesicht herum, mit einer Hand, an der drei Finger
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