Sturms Flug
heftig, dass man mir Infusionen verabreichen musste. Dazu brachte man mich in ein Krankenhaus in Mbabane (das ist die Hauptstadt von Swasiland), wobei der Begriff »Krankenhaus« recht hoch gegriffen ist. »Buschklinik« wäre treffender, man kann sich als Europäer kaum vorstellen, welche Zustände dort herrschen.
Wahrscheinlich ahnst Du schon, wie es jetzt weitergeht. Richtig, die Infusionsnadel war nicht desinfiziert und HIV -verseucht.
Dabei hat mir die Behandlung zunächst gegen den Darmvirus geholfen. Doch dann bekam ich plötzlich wieder hohes Fieber und wahnsinnige Kopfschmerzen, außerdem fühlte ich mich dermaßen erschlagen, dass ich befürchtete, jeden Moment ohnmächtig zu werden. Und dann war da noch das Gefühl, nie wieder etwas essen zu können, sodass ich dachte, das Virus wäre wieder zurück.
Heute weiß ich, dass diese Symptomatik nicht nur typisch ist für eine Darmgrippe, sondern auch für eine HIV -Infektion. Sie tritt quasi sofort nach der Ansteckung auf, um spätestens nach zehn Tagen von ganz allein wieder zu verschwinden. Nun, damals habe ich das noch nicht gewusst.
In Johannesburg bin ich dann erneut in die Klinik gegangen. Dort geht es wesentlich zivilisierter zu als in Swasiland, was allerdings noch immer keinem Vergleich mit europäischen Maßstäben standhält. Als ich dem Arzt meine Beschwerden schilderte, hat er sofort den Verdacht einer HIV -Infektion geäußert und einen sogenannten Bedside-Test durchgeführt, einen Schnelltest, mit dem sich eine Ansteckung nachweisen lässt. Das war erstaunlich simpel: Ein kleiner Fingerpieks, etwas Blut auf ein Testplättchen geträufelt, dazu ein Tropfen Lösungsmittel, dann zehn Minuten warten und fertig.
Niederschmetterndes Resultat: positiv. Eine sofortige Wiederholung des Ganzen bestätigte das Ergebnis.
Jetzt, da ich diesen Brief schreibe und am heimischen Küchentisch sitze, warte ich auf den Befund eines dritten Tests. Der wurde hier bei uns in der Uniklinik durchgeführt, mittels des sogenannten RT-PCR -Verfahrens, das wesentlich aufwändiger ist als der oben beschriebene Schnelltest. Dabei wird das Blut im Labor untersucht, was etwa drei bis vier Tage dauert. Die Warterei ist die Hölle!
Ich habe den RT-PCR -Test gleich nach meiner Rückkehr machen lassen, weil ich mich an die Hoffnung klammere, dass den Afrikanern ein Fehler unterlaufen sein könnte. Wie gesagt, die medizinischen Verhältnisse dort sind abenteuerlich. Außerdem ist es eine Tatsache, dass sie von den Pharmakonzernen Medikamente zum Spottpreis einkaufen, deren Verfallsdatum überschritten ist. Vielleicht gilt das auch für die AIDS -Tests, die sie verwenden. (Wobei ich nicht weiß, ob die überhaupt ein Verfallsdatum haben.)
Doch dass der hiesige Test das Ergebnis der anderen widerlegt, ist verdammt unwahrscheinlich, denn die Nachweisverfahren sind sehr, sehr genau, was angeblich auch für die Schnelltests gilt. Irgendwo habe ich etwas von einer Trefferquote von 98,8 Prozent gelesen.
Wie auch immer, jedenfalls weißt Du nun, warum ich versucht habe, auf Distanz zu bleiben, nämlich, weil ich Dich (und natürlich auch mich) schützen wollte, damit wir uns nicht in etwas verlieren, das keine Zukunft hat.
Dabei hatte ich diese ganze Geheimniskrämerei ursprünglich überhaupt nicht geplant. Dass ich mich Gott und der Welt als Hanna vorgestellt habe, war erst mal nichts als pure Verzweiflung und diente dem Zweck, alles zu verdrängen, was mit Tamara Sturm zu tun hat. (So heiße ich wirklich, tut mir leid, dass Du das erst jetzt erfährst. Nebenbei bemerkt bevorzuge ich es, wenn man mich Mara nennt.)
Diese Verdrängerei war natürlich völlig blödsinnig, denn seinem Schicksal entgeht man nicht dadurch, dass man sich als jemand anderes ausgibt. Das habe ich schnell erkannt, doch als mir klar wurde, dass Du Dich in Hanna verknallt hast, hielt ich es für besser, wenn Du nicht wusstest, wer sie wirklich ist. Und so habe ich das Spiel weitergespielt. Wie ich eben geschrieben habe, wollte ich uns damit beide schützen.
Noch ein paar Sätze zum Verdrängen: Gleich nach meiner Rückkehr aus Kenia habe ich mir an die zwanzig Bücher gekauft, die sich mit dem Thema Tod beschäftigen. Ich habe mir eingeredet, wenn ich nur gründlich genug studierte, was die klugen Leute dort alles zusammengetragen haben, würde mich das so sehr festigen, dass mich selbst die grausame Gewissheit nicht mehr schockieren kann. Einem Bekannten habe ich weisgemacht, die Bücher gekauft zu haben
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