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Sturms Flug

Sturms Flug

Titel: Sturms Flug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Quandt
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als Hilfestellung für eine ehrenamtliche Tätigkeit im Hospiz, die ich kurzfristig angenommen hatte. Und siehe da, nachdem er es gefressen hatte, habe ich es sogar selbst geglaubt. Das ist wahre Verdrängungskunst. (Oder beginnende Schizophrenie?)
    Ach ja, ich komme übrigens nicht aus Berlin, sondern habe dort lediglich den Großteil meiner Kindheit verbracht. Das führt dazu, dass ich zuweilen Berlinerisch rede, wenn ich mit echten Berlinern zu tun habe, was allerdings nur ein Scherz ist, da ich den Dialekt überhaupt nicht beherrsche (und auch niemals richtig gesprochen habe). Nur Nicht-Berliner und Bernds, die auf Balkonen stehen und lauschen, fallen auf mein »Icke« herein.
    Geboren wurde ich in Köln (im St.-Elisabeth-Krankenhaus, Hohenlind). Als ich zwei Jahre alt war, ist unsere Familie nach Westberlin umgezogen, da mein Vater eine Anstellung als Ingenieur am dortigen Fraunhofer Institut angenommen hatte. Als sein Vertrag auslief, war ich sechzehn, und kurz darauf ist die ganze Familie wieder in die Heimat zurückgekehrt.
    Verzeih mir, dass ich Deinen Irrtum bezüglich meiner Herkunft ebenfalls nicht aufgeklärt habe, da er demselben Zweck diente wie der falsche Name.
    Mittlerweile glaube ich, dass es ein Fehler war, das alles vor Dir zu verheimlichen, doch wenn man einmal die goldene Rüstung anhat, lässt sie sich nur sehr schwer wieder ablegen.
    Als ich nach Kenia kam, stand ich kurz davor, mich von einer Klippe zu stürzen. Um das zu verhindern, habe ich mich wie eine Besessene abgelenkt: mit durchtanzten Nächten, mit Schnorchelkursen (obwohl ich eigentlich keine Wasserratte bin), mit Safaris und zum Schluss mit einem tollen Mann und lieben Menschen namens Bernd Vogel. Danke für die schönen Stunden, die ich mit Dir verbringen durfte. Ich hoffe, dass es nicht die letzten waren, denn dank Dir habe ich eingesehen, dass der Sprung von der Klippe falsch wäre. Das Ende kommt früh genug. Bis dahin gibt es noch eine Menge zu erleben.
    Du tust mir gut! Danke!
    Ich würde mich riesig freuen, wenn Dir trotz allem nicht die Lust vergangen ist, mich wiederzusehen. Völlig unverbindlich, versteht sich! Jetzt liegt es an Dir. Bis dahin alles Gute
    Mara

Kapitel 12
    10 Minuten vor der Entführung des Fluges SWX 714
    »Nanu?«, grollte eine tiefe Stimme. »Schon wieder auf dem Sprung? Dabei wollten wir heute doch mal richtig ausgiebig über alte Zeiten quatschen, was? Kannst du dir vorstellen, dass es mich kränkt, wenn du heimlich, still und leise wieder verschwindest? Wie lange sitze ich mittlerweile in diesem verdammten Loch?« Er tat so, als müsste er überlegen, dann fuhr er viel zu laut fort: »Zwei verdammte Monate und vier Tage! Und wie oft hast du mich in dieser Zeit besucht?« Er hob die Rechte, um mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis zu formen, der offensichtlich die Ziffer Null darstellen sollte. »Setz dich!«
    Mara tat, wie ihr geheißen. Er nahm gegenüber Platz. Sie starrte ihn an. Er war Ende vierzig und mittelgroß, etwas dicklich und ausnehmend hässlich. Es war augenscheinlich, dass er früher eine schlimme Akne gehabt hatte, wodurch unzählige Narben auf seinen Wangen zurückgeblieben waren. Hinzu kam eine Nase, wie sie breiter und platter kaum sein konnte, als sichtbares Zeichen dafür, dass er in jungen Jahren geboxt hatte.
    »Nette Frisur«, stellte er fest. »Außerdem hast du abgenommen.«
    »Im Gegensatz zu dir.«
    Er grinste boshaft. »Ja. Ich esse in letzter Zeit gut und regelmäßig. Was macht unser alter Herr?«
    Die Frage kam so überraschend, dass sie einige Sekunden brauchte, um sie zu verdauen. »Falls du damit unseren Vater meinst, dann lautet die Antwort: Es geht ihm sehr schlecht. Aber das ist kein Wunder, immerhin ist er ein schwer kranker Fünfundachtzigjähriger, der obendrein an Alzheimer leidet, der nicht mehr weiß, wer er ist, wo er ist und wie seine Kinder heißen. Er wird dreimal täglich gefüttert und gewindelt, und vielleicht hätte er sich gefreut, hätte ihn sein Sohn beizeiten einmal besucht. Doch dafür ist es jetzt zu spät, die beiden werden sich nie wiedersehen.«
    Er sah sie scharf an. »Bist du gekommen, um alte Geschichten aufzuwärmen?«
    »Alte Geschichten? Das ist keine alte Geschichte, Jo.« Sein richtiger Vorname war Johannes, während er mit Nachnamen Strasser hieß. Das war auch Maras Mädchenname, und nach ihrer Scheidung hatte sie überlegt, ihn wieder anzunehmen. Doch eigentlich mochte sie Sturm. »Das ist eine verdammt neue Geschichte, die

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