Sturms Flug
Glück aber nur die Beine, da ihm die Enge des Gangs ein anderes Ziel verwehrte.
In unmittelbarer Nähe schrie eine Frau.
Der Verbrecher übertönte sie. »Schnauze!«, brüllte er in einer Lautstärke, die sie zusammenzucken ließ, als hätte neben ihr der Blitz eingeschlagen.
Als Nächstes kam Grietje an die Reihe. Mit der freien Hand ergriff er das Revers ihrer Stewardessen-Kluft und zerrte sie in die Bordküche. Dort, gleich neben dem Ausstieg, befand sich die Sprechanlage, die von der Kabinencrew normalerweise dazu benutzt wurde, über Lautsprecher vor Flugbeginn die Sicherheitsbelehrungen herunterzubeten oder im weiteren Verlauf der Reise für zollfreie Produkte zu werben, die an Bord gekauft werden konnten. Er riss das Mikrofon aus der Wandhalterung und drückte es ihr in die Hand. »Übersetzen!«, befahl er. »Auf Deutsch! Sind ja nur Krautfresser an Bord!«
Die Stewardess nickte, ihre Hand mit dem Mikro zitterte.
Tyson spie ein paar Sätze hin, dann wartete er.
Sie drückte die Sprechtaste, es knackte. »Er will den Gang freihaben«, verkündete sie in flüssigem Deutsch, aber mit starkem holländischem Akzent. »Sie sollen sich sofort hinsetzen und die Arme hinter den Köpfen verschränken.«
Ersteres galt jenen Passagieren, die zu Beginn des Überfalls herumgestanden und mit ihrem Handgepäck gerungen hatten, das in den Ablagefächern über den Sitzreihen aufbewahrt wurde.
»Nehmen Sie schleunigst wieder Ihre Plätze ein!«, mahnte sie erneut. Sie atmete rasselnd, ihre Stimme drohte zu kippen, doch irgendwie schaffte sie es, sich zu beherrschen. »Und sorgen Sie dafür, dass nichts im Gang liegt. Schieben Sie es unter die Sitze. Außerdem darf ab sofort nicht mehr gesprochen werden. Er droht, jeden zu erschießen, der ungefragt spricht.«
Dieser Teil der Übersetzung war deutlich abgemildert, denn wörtlich hatte der Schwarzafrikaner gesagt: Dem ersten Krautfresser, der sein dreckiges Maul aufmacht, ohne dass ich es ihm erlaube, werde ich das verdammte Gehirn aus dem Schädel pusten!
Für die Dauer von zwanzig, dreißig Sekunden war lautes Rascheln und Füßescharren zu vernehmen, als sich die Leute auf ihre Plätze flüchteten. Dann breitete sich furchtsame Stille aus, bis nur noch das dumpfe Brummen der Klimaanlage und das Rauschen der Lüftung zu hören waren. Ein Kind fing an zu weinen, doch seine Mutter presste ihm sofort die flache Hand auf den Mund, um den Laut zu ersticken. Den freien Arm verschränkte sie hinter dem Kopf, genau wie alle anderen.
Dann, als der Gang wieder passierbar war, erhoben sich drei Männer von ihren Plätzen. Es waren ebenfalls Schwarzafrikaner, und sie kamen auf Tyson zu. Dabei verpasste einer von ihnen dem am Boden liegenden Easy Rider einen brutalen Tritt direkt ins Gesicht, und dessen Stöhnen brach abrupt ab, sein Körper erschlaffte. Sie grinsten, und jeder hielt Tyson die geballte Faust hin, worauf dieser mit seiner Faust dagegenschlug.
Auf Bernd wirkte das wie die Begrüßungszeremonie einer Bande von Gangsta-Rappern. Fehlte nur noch das obercoole Yo, man .
Das Quartett tauschte einige Sätze in einer Sprache aus, die Bernd völlig unbekannt war. Dabei wurde deutlich, dass Tyson das Kommando führte. Er überreichte einem seiner Leute eine Pistole, die beiden anderen erhielten jeweils ein riesiges Messer, dessen Klinge an einer Seite gezackt war und dessen Hauptzweck wohl darin bestand, Furcht einzuflößen. Er nahm die Pistole und die beiden Messer aus einer Umhängetasche, die Bernd erst in diesem Moment an ihm bemerkte. Bevor er das Cockpit geentert hatte, war die Tasche noch nicht da gewesen. Folglich musste sie sich zusammen mit der Maschinenpistole in dem Saxofonkoffer befunden haben.
Terroristen! , schoss es ihm in den Sinn. Lieber Gott, lass mich bitte sofort aufwachen! Er kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, doch die Typen waren immer noch da. Natürlich, Augenschließen hatte noch nie etwas bewirkt.
Zwei Kidnapper, der mit der Pistole und einer der beiden Messermänner, gingen mit großspuriger Gestik in den hinteren Teil der Maschine, während sich der zweite Messermann ins Cockpit begab und dabei die Tür offen ließ. Tyson blieb mit Grietje in der Bordküche zurück und forderte sie abermals auf, eine Lautsprecherdurchsage zu machen.
Bernd bemerkte, dass Tyson leicht hinkte und den linken Fuß nachzog.
»Er möchte, dass Sie die Sonnenblenden herunterschieben«, sagte Grietje in das Mikro der Sprechanlage.
Jede Sitzreihe
Weitere Kostenlose Bücher