Sturms Flug
plötzlich ohne Badeanzug dazustehen. In diesem Augenblick wusste sie es.
»Komm her!«, befahl Asad gefährlich leise.
Sie rührte sich nicht.
Er ließ die Machete fallen, Stahl schepperte auf dem Boden. Schweigend nahm er Rashid die Pistole ab, um damit seinerseits auf sie zu zielen. »Komm her, habe ich gesagt!«
»Ich bitte Sie, Hoheit …«, begann Zöllner abermals. Weiter kam er nicht, da das Griffstück der Waffe an seine Schläfe krachte.
Die Grinsefratzen johlten im Chor.
Asad senkte den Arm, langsam, fast andächtig, wobei die Mündung auf Mara gerichtet war und über ihren Körper zu wandern schien. Als sie auf ihre Beine zielte, kniff der Verbrecher das linke Auge zu.
Es knallte erneut.
Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie spürte etwas Warmes an der linken Wade. Er hat mir ins Bein geschossen! , durchzuckte es sie. Doch da war kein Schmerz. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie an sich hinab. Zu ihren Füßen lag ein Fellknäuel mit vier Beinen und ohne Kopf. Dort, wo sich einst die aufgeweckte Schnuppernase und die treuen Augen befunden hatten, war nichts mehr außer einem Haufen Brei, der sich auf den Fliesen verteilt hatte wie der Inhalt einer ausgedrückten Ketchup-Tube. Das Halsband lag inmitten der Schweinerei.
Sie gab sich keine Mühe, ihre Gefühle zu verheimlichen. Sie schluchzte laut, was sofort zu Hohngelächter führte und dann zu rhythmischem Klatschen. Yussuf stand der Geifer in den Mundwinkeln, er platzte schier vor Lachen. Auch die Milizionäre hatten ihren Spaß.
»Komm her!«, befahl Asad erneut. »Oder willst du dem Verräter Gesellschaft leisten, dem ich die Knie weggeschossen habe? Ich glaube nicht, dass du das willst. Also sei brav und komm her!«
Sie schluckte. Und gehorchte.
Kapitel 17
Die beiden Männer mit den karierten Golfhosen, der eine jungenhaft und schüchtern, der andere mit grauen Schläfen und gestrenger Oberlehrermiene, eilten durch die langen Korridore in Richtung Verhörraum, um sich einen Gefangenen namens Omar Aidid vorzuknöpfen.
»Was … was ist passiert?«, fragte Bodo Lohmann, während er lief, fast rannte.
Oberstaatsanwalt August »Eisenschädel« Kunze hatte ihn vor einer halben Stunde zu Hause angerufen und ihm befohlen, sich unverzüglich in die Justizvollzugsanstalt zu begeben. Also war Lohmann schnell vom Heimtrainer gestiegen, auf dem er sich passenderweise gerade gequält hatte, um in Windeseile die Trainingskleidung gegen seine Golfhosen und ein sauberes, frisch gebügeltes Hemd zu tauschen und sich mit dem Auto durch den vorweihnachtlichen Einkaufstrubel zu quälen. An der Hauptpforte der JVA war er bereits von einem ungeduldigen Kunze empfangen worden, der selbstverständlich einen ostentativen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Doch was der Grund für die ungewöhnliche Alarmierung am normalerweise freien Wochenende war, hatte der Eisenschädel noch immer mit keiner Silbe erwähnt.
Auch in diesem Moment gab er sich geheimnisvoll. »Wie kommen Sie mit Omar Aidid voran?«, wollte er wissen, ohne auf die Frage, was denn passiert sei, einzugehen.
»Wie meinen Sie das?« Mit Schrecken dachte Lohmann an die inzwischen sechs gescheiterten Verhöre des Somaliers, die zu rein gar nichts geführt hatten und allesamt unter dem Stichwort peinlich abgehakt werden mussten. Entweder hatte Omar ihn ausgelacht oder getobt, und beides war einer vernünftigen Kommunikation in keiner Weise zuträglich gewesen. Jedes Mal, wenn er den Raum betreten hatte, war der Pirat ausgerastet, hatte die Backen aufgeblasen, obszöne Geräusche und Gesten von sich gegeben oder lauthals losgebrüllt, je nach Tagesform. Davon, ihm ein Geständnis zu entlocken, war der Jungstaatsanwalt ungefähr so weit entfernt wie von einer erfolgreichen Kandidatur als Bundeskanzler.
»Was denken Sie denn, was ich meine?«, versetzte Kunze ungehalten. »Wie weit Sie mit dem Geständnis sind, natürlich. Haben Sie ihn endlich zu einer Aussage bewegen können?« Er blieb abrupt stehen und fixierte seinen Adlatus mit stechendem Blick. »Ihnen ist hoffentlich klar, dass alle Welt diesen Piratenprozess mit Argusaugen verfolgt. Ich muss Ihnen nicht erläutern, was vom Ausgang des Verfahrens abhängt, oder?«
Lohmann überlegte fieberhaft, ob dies der richtige Zeitpunkt für ein Bekenntnis war. Immerhin hatte die Vergangenheit gezeigt, dass ihm der Eisenschädel wohlgesonnen gegenüberstand, auch wenn seine burschikose Art das nicht immer vermuten ließ. Ja, kam er zu einem
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